EDITORIAL
Am 14. Mai 1948, vor 60 Jahren, wurde der Staat Israel gegründet. Dessen Gründung war unter anderem eine Folge des Völkermordes an den Juden, den Deutsche unter dem Nationalsozialismus begangen hatten. Das junge Israel wurde zunächst von beiden deutschen Staaten begrüßt, doch schon Anfang der Fünfzigerjahre folgte die DDR der Sowjetunion in das Fahrwasser des Antizionismus und des Antisemitismus. Erst im April 1990 brach die DDR-Volkskammer offiziell mit dieser Politik des SED-Staates und bat »das Volk in Israel um Verzeihung für Heuchelei und Feindseligkeit […] gegenüber dem Staat Israel und für die Verfolgung und Entwürdigung jüdischer Mitbürger auch nach 1945 in unserem Lande«.
18 Jahre später hat Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Rede vor dem israelischen Parlament, der Knesset, daran erinnert, dass es über 40 Jahre gedauert habe, »bis sich ganz Deutschland sowohl zu seiner historischen Verantwortung als auch zum Staat Israel bekennen konnte«. Diese historische Verantwortung gilt nicht nur für das einmalige Verbrechen des Holocaust, sondern auch für die Feindschaft, mit der die SED Israel und Juden in der DDR begegnete. Auch vor diesem Hintergrund haben sich die »besonderen, einzigartigen Beziehungen« zwischen Deutschland und Israel, von denen Merkel am 18. März in Jerusalem sprach, zu bewähren.
Das Jubiläum der Staatsgründung Israels ist deshalb ein guter Anlass, in einzelnen Beiträgen im Deutschland Archiv verschiedene Aspekte des Verhältnisses sowohl zwischen der DDR und Israel als auch zwischen dem vereinigten Deutschland und Israel zu betrachten. Dieses Verhältnis stand in den Jahren zwischen 1945 und 1990 unter den Vorzeichen des Kalten Krieges und war jeweils Teil der Staatsräson beider deutscher Staaten.
Deren Beziehungen zueinander wie auch die Auswirkungen der wechselseitigen Referenz von DDR und Bundesrepublik werden in weiteren Beiträgen des aktuellen Deutschland Archivs thematisiert. Im Fokus stehen dabei – aus verschiedenen Blickwinkeln – innerdeutsche und internationale Migration, die Bürgerkriegsperzeption in den Kampfgruppen der Arbeiterklasse und des Technischen Hilfswerkes in dessen Anfängen, Kultur und Bildung sowie die Abrüstungspolitik. Einige Themen werden aus der Sicht der DDR-Staatssicherheit dargestellt, die in der vorliegenden Ausgabe des Deutschland Archivs erneut breiten Raum einnimmt. Die Auseinandersetzung damit bleibt nach wie vor notwendig. Das zeigen die teilweise scharfen Reaktionen auf die Enthüllungen der Stasi-Vergangenheit zweier Berliner Journalisten; das zeigen aber ebenso die verharmlosenden Statements zur DDR-Vergangenheit aus den Reihen der Partei »Die Linke«, die im Angesicht von deren Wahlerfolgen in westlichen Bundesländern für Schlagzeilen sorgten. Auch wenn »Die Linke« mehr ist als die SED-Nachfolgepartei PDS, aus der sie mit hervorgegangen ist, so hat sie sich gerade angesichts dieser Wurzeln auch an ihrem Umgang mit der DDR-Geschichte und mit deren Aufarbeitung zu messen. Und zu dieser Geschichte gehört die Staatssicherheit. Der Umgang mit der Vergangenheit ist ein Gradmesser für demokratisches Bewusstsein und für demokratische Kultur. Das gilt im Besonderen auch für den Umgang mit Israel und mit den jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern. Darauf hat auch die Bundeskanzlerin in ihrer Rede vor der Knesset hingewiesen, als sie die »besonderen, einzigartigen Beziehungen« zwischen Deutschland und Israel verknüpfte »mit immerwährender Verantwortung für die Vergangenheit, mit gemeinsamen Werten, mit gegenseitigem Vertrauen, mit großer Solidarität füreinander und mit vereinter Zuversicht«.
INHALTSVERZEICHNIS
KOMMENTARE
Karl-Heinz Baum: Stasi in die Produktion? S. 389-392
Eckhard Jesse: NPD-Verbot ist kein Gebot. Die endlose Diskussion um einen Verbotsantrag gegen die NPD S. 392-396
Ilse Spittmann-Rühle: Peter Bender zum 85. Geburtstag S. 396-398 Volker Strebel: Von Rapallo nach Berlin und Moskau. Zum Tode von Nikolaj S. Portugalow (1928 – 2008) S. 399-400
Eberhard Görner: Mehr als nur ein Schauspieler. Zum Tode von Erwin Geschonneck (1906 – 2008) S. 400-401
ZEITGESCHEHEN
Armin Pfahl-Traughber: Demokratietheoretische Anfragen an die Partei »Die Linke«. Kritische Bemerkungen zu einigen Auffassungen und Handlungen S. 402-407
Manfred Schweres: Fehlfinanzierung Aufbau Ost. Für eine offene Diskussion der Abgrenzung von Förderregionen in der Arbeitsmarkt- und Regionalpolitik S. 408-415
ZEITGESCHICHTE
Martin Jander: Vereint gegen Israel? Die DDR und der westdeutsche Linksterrorismus S. 416-422
Peter Joachim Lapp: Die »Felixe« des Erich Mielke. Das Wachregiment des Ministeriums für Staatssicherheit S. 422-426
Frank Joestel: Alles im Blick, alles in Ordnung? Das Ostberliner Treffen für kernwaffenfreie Zonen vom Juni 1988 in der Berichterstattung der DDR-Staatssicherheit S. 427-433
Marko Schulz: Erinnerungskultur des Ministeriums für Staatssicherheit. Gedenken an den 17. Juni 1953 in der MfS-Untersuchungshaftanstalt Magdeburg-Neustadt S. 434-440
Tilmann Siebeneichner: »Wieder und wieder erneuerte Lust am Überleben«? Die Kampfgruppen der Arbeiterklasse, das THW und die Virulenz von Bürgerkriegsperzeptionen im geteilten Deutschland S. 441-446
Jörg Roesler: Das Zusammenspiel von innerdeutscher und transnationaler Migration nach Deutschland. Von Mitte der 1950er- bis Mitte der 1960er-Jahre S. 447-456
Hedwig Richter, Ralf Richter: Italienische »Gastarbeiter« im Ost-West-Konflikt. Kommunistische Propaganda und Überwachung zwischen Italien, BRD und DDR in den 1960er-Jahren S. 456-465
Fritz Reinert: »Kein Kämpfer«: Bruno H. Bürgel. Politische Standpunkte eines Schriftstellers unter wechselnden gesellschaftlichen Bedingungen S. 465-473
Matthias Tischer: Ulbrichts Beethoven? Die Konzeption des Beethoven-Jubiläums in der DDR 1970 S. 473-480
Sebastian Barsch: Bildung, Arbeit und geistige Behinderung in der DDR. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit S. 480-487
Christopher Görlich: »Die Deutschen werden reisen wie noch nie …«. Tourismus in Ost- und Westdeutschland nach 1945 S. 488-492
DOKUMENTATION
»Warnung vor dem Ausradieren der Freiheit« Arnold Zweig vor dem Kulturbund 1954 (Jörg Bernhard Bilke) S. 493-498
Offener Brief von DDR-Oppositionellen zur Teilnahme an den Olympischen Spielen S. 498-499
FORUM
Ehrhart Neubert: Ereignisse und Akteure der friedlichen Revolution 1989/90 – wie erinnern? S. 500-506
Michael Braun: »Erinnerung ist eine Chance der Begegnung«. Das deutsch-israelische Verhältnis im Spiegel der Literatur S. 507-510
Peer Pasternack: Wissenschaft und Politik in der DDR. Eine Kontrastbetrachtung im Vergleich zur Bundesrepublik S. 510-519
TAGUNGEN, VERANSTALTUNGEN
Andreas M. Vollmer: Deutschland aus internationaler Sicht. Jubiläums-Jahrestagung der Gesellschaft für Deutschlandforschung in Berlin S. 520-522
Elke Kimmel: 20 Jahre friedliche Revolution und deutsche Einheit. Geschichtsmesse in Suhl S. 523-525
Claudia Böttcher: Heimat und Fremde. Selbst-, Fremd- und Leitbilder in Film und Fernsehen. Tagung in Leipzig S. 525-528
Wolfgang Schlott: Die Neiße als Schicksalsfluss für Deutsche, Polen, Tschechen und Griechen. Seminar in St. Marienthal-Ostritz S. 528-531
REZENSIONEN
Gerhardt A. Ritter (Hg.): Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945 (Josef Schmid) S. 532-533
Daniel Friedrich Sturm: Uneinig in die Einheit (Heiko Tammena) S. 534-535
Michael von Prollius: Deutsche Wirtschaftsgeschichte nach 1945 (Burghard Ciesla) S. 535-536
Jan Bösche: Die Konsumgenossenschaften in der Wende von 1989/90; Alfred Bosbach: 1946 – 1971 (Ulrich Kurzer) S. 537-538
Stephanie Tauchert: Jüdische Identitäten in Deutschland; Matthias Brosch u. a. (Hg.): Exklusive Solidarität (Ansbert Baumann) S. 538-539
Meik Zülsdorf-Kersting: Sechzig Jahre danach (Bert Pampel) S. 539-541
Enrico Heitzer: »Einige greifen der Geschichte in die Speichen« (Thomas Ammer) S. 541-542
Jörg-Dieter Gauger: Deutsche und Polen im Unterricht (Karlheinz Lau) S. 543
Klaus Marxen, Gerhard Werle (Hg.): Strafjustiz und DDR-Unrecht (Karl Wilhelm Fricke) S. 544-546
Jürgen Wilke (Hg.): Journalisten und Journalismus in der DDR (Stefan Matysiak) S. 546-547
Steffen Reichert: Unter Kontrolle (Katharina Lenski) S. 547-548 Wolfram Setz (Hg.): Homosexualität in der DDR (Andreas Fraude) S. 548-550
Matthias Braun: Kulturinsel und Machtinstrument (Rüdiger Thomas) S. 550-552
Dennis Tate: Shifting Perspectives (Frank Hoffmann) S. 553-554 Klaus Hermsdorf: Kafka in der DDR (Jörg Bernhard Bilke) S. 554-555 Eberhard Görner: Am Abgrund der Utopie (Hans-Georg Golz) S. 555-556
Peter Schnetz: Wer je die Sparflamme umschritt (Siegmar Faust) S. 556-557
Florian Havemann: Havemann (Rainer Eckert) S. 557-558
Anne Harich: »Wenn ich das gewusst hätte …« (Eckhard Jesse) S. 559
Hans-Volker Schwarz: Die Berliner Liberalen im Brennpunkt des Ost-West-Konfliktes 1945 – 1956 (Gunter Holzweißig) S. 560
Francesca Weil: Zielgruppe Ärzteschaft (Helmut Müller-Enbergs) S. 561-562 Beatrice Vierneisel (Hg.): Fremde im Land (Detlev Brunner) S. 562-563
Johannes H. Voigt: Die Indienpolitik der DDR (Hermann Wentker) S. 563-565
Frank Hientzsch: Allseitig und harmonisch entwickelte sozialistische Persönlichkeiten (Silke Flegel) S. 565-566
Johanna Engelbrecht: Rechtsextremismus bei ostdeutschen Jugendlichen vor und nach der Wende; Reiner Becker: Ein normales Familienleben; Sven Schönfelder: Rechtspopulismus; Fabian Virchow, Christian Dornbusch (Hg.): 88 Fragen und Antworten zur NPD; Andrea Röpke, Andreas Speit (Hg.): Neonazis in Nadelstreifen; Christoph Butterwegge, Gudrun Hentges (Hg.): Rechtspopulismus, Arbeitswelt und Armut; Jürgen Hofmann, Michael Schneider (Hg.): ArbeiterInnenbewegung und Rechtsextremismus; Dietmar Molthagen u. a. (Hg.): Lern- und Arbeitsbuch »Gegen Rechtsextremismus« (Armin Pfahl-Traughber) S. 566-570
Annotationen S. 570-574
Frank Nägler: Die Bundeswehr 1955 bis 2000 (Eberhard Birk); Eva Rickmers: Aufgaben und Struktur der Bezirkstage und Räte der Bezirke in der DDR 1952 – 1990/91 (Gunnar Peters); Elke Scherstjanoi: SED-Agrarpolitik unter sowjetischer Kontrolle 1949 – 1953 (Jens Schöne); Benjamin Ziemann: Katholische Kirche und Sozialwissenschaften 1945 – 1975 (Dierk Hoffmann); Ingmar Brantsch: Das Weiterleben der rumäniendeutschen Literatur nach dem Umbruch (Wolfgang Schlott); Jurek Becker: Mein Vater, die Deutschen und ich (Volker Strebel); Jan Böttcher: Nachglühen (Marc-Dietrich Ohse); Doris Liebermann, Hans-Hendrik Grimmling: Die Umerziehung der Vögel (Udo Scheer)
Die Autorinnen und Autoren dieses Heftes S. 575-576 Impressum S. 576