Stefan Auer Macht und Gewalt 1989, die Ukraine und die Idee der gewaltfreien Revolution 3
Iris Kempe Eine neue OstpolitikEuropas Antwort auf die osteuropäischenRegenbogenrevolutionen 21
Alexander S. Neu Die Zukunft des KosovoEin völker- und verfassungsrechtlicher Blick 35
Bogusław Bakuła An den Schlagbäumen Europas und Asiens Der Dichter Jarosław Iwaszkiewicz 61
Gasan Gusejnov Das innere AuslandNeue Grenzen in der heutigenrussischen Literatur 81
Dmitrij Chmel’nickij Der Kampf um die sowjetische ArchitekturAusländische Architekten in der UdSSR der Stalin-Ära 91
Klaus Müller Europa, nicht BrüsselDer Weltkongreß der Osteuropaforschung 112
Herta Schmid, Katrin Berwanger Memorandum über die Lage der Slawistik in Deutschland 122
Stefan Auer Macht und Gewalt 1989, die Ukraine und die Idee der gewaltfreien Revolution Die Orangene Revolution in der Ukraine und die Rosenrevolution in Georgien knüpften an die Umstürze von 1989 an. Jeweils ermöglichten sie einen Neuanfang politischen Handelns, das unter dem ancien régime undenkbar gewesen wäre. Damit etabliert sich auch ein neuer Revolutionsbegriff, der von Selbstbeschränkung und Gewaltfreiheit gekennzeichnet ist. Hannah Arendts Denken über das Verhältnis von Macht und Gewalt liefert wertvolle Einsichten zu der Bedeutung dieses Revolu-tionsbegriffs und seinen politischen Implikationen.
Iris Kempe Eine neue Ostpolitik Europas Antwort auf die Regenbogenrevolutionen Die Regenbogenrevolutionen in der Ukraine und Georgien haben sich an westlichen Werten orientiert. Eine erfolgreiche Transformation in diesen Staaten hängt auch von deren Einbindung in den westlichen Integrationsraum ab. Mit der Nachbarschaftspolitik hat die Europäische Union auf den Handlungsdruck reagiert. Doch derzeit befindet sich die Europäische Union in einer Integrationskrise. Gleichzeitig ist der Kreml mit seiner Strategie gescheitert, den postsowjetischen Raum durch Abhängigkeit und personelle Netzwerke zu integrieren. Eine „neue Ostpolitik“ ist gefordert, um den überlappenden Integrationsraum zwischen Rußland und dem Westen zu gestalten.
Alexander S. Neu Die Zukunft des Kosovo Ein völker- und verfassungsrechtlicher Blick Die Lösung der Kosovo-Problematik gleicht der Quadratur des Kreises. Die politischen Forderungen der beiden lokalen Kontrahenten Serbien und Kosovo-Albaner stehen sich diametral gegenüber. Der Westen selbst spielt in diesem Konflikt eine unrühmliche Rolle: Als ehemalige Kriegspartei versucht er sich nun aus dieser Rolle zu befreien und als „ehrlicher Makler“ zu vermitteln. Die Grundlage hierfür wäre die Rückkehr zu völkerrechtlichen Grundlagen.
Bogusław Bakuła An den Schlagbäumen Europas und Asiens Der Dichter Jarosław Iwaszkiewicz Der in der Ukraine geborene polnische Dichter und Prosaist Jarosław Iwaszkiewicz, in dessen umfangreichem Werk sich das europäische Bewußtsein des 20. Jahrhunderts widerspiegelt, wandelte zeit seines Lebens zwischen zwei Welten: zwischen Ost- und Westeuropa. Kiev und Petersburg, zwei Metropolen im östlichen Teil des Kontinents, galten Iwaszkiewicz als Symbole einer schwierig zu bewerkstelligenden Einheit zwischen West und Ost, Jugend und Lebensabend, Leben und Tod. Gleichzeitig waren sie ihm aber auch Anlaß, sich historischen, metaphysischen und ethischen Fragestellungen zu nähern. Kiev taucht in seiner Dichtung als Pforte zum Osten und als Ort dichterischer Initiation auf. Petersburg erscheint hingegen als Ort dunkler Mächte und fatalistischer Geschichte – als ein Ort, an dem die eigene Existenz und Identität einer anhaltenden Bedrohung ausgesetzt sind.
Gasan Gusejnov Das innere Ausland Neue Grenzen in der heutigen russischen Literatur Wie haben sich die kulturellen Grenzen in der russischen Literatur von heute verschoben? Evtušenkos Formel „Ein Dichter in Rußland ist mehr als nur ein Dichter“ ist nicht mehr gültig. Viktor Erofeev begrub gar die sowjetische Literatur. Damit sind mehrere Grenzen gefallen: die zwischen Hoch- und Massenliteratur sowie jene zwischen Pop-Kultur und der Dichtung des Elfenbeinturms. Um die verspätete russische Postmoderne zu interpretieren, ist es nützlich, den Begriff des „inneren Auslands“ auf die literarische Szene anzuwenden.
Dmitrij Chmel’nickij Der Kampf um die sowjetische Architektur Ausländische Architekten in der UdSSR der Stalin-Ära In den 1920er Jahren galt die Sowjetunion noch als Land der architektonischen Zukunft, das Berühmtheiten wie Le Corbusier oder Erich Mendelsohn anzog. In den 1930er Jahren änderte sich die Situation radikal. Stalin lud westliche Experten wie Albert Kahn oder Ernst May ein, an der „sozialistischen Industrialisierung“ und dem Aufbau der Rüstungsindustrie mitzuwirken. Als der Transfer militär-industriellen Know-hows in die UdSSR so weit gediehen war, daß die Sowjetunion die westlichen Architekten und Experten nicht mehr benötigte, brach Stalin die Zusammenarbeit jäh ab.
Klaus Müller Europa, nicht Brüssel Der Weltkongreß der Osteuropaforschung Der Abgesang auf die Osteuropaforschung und die Area studies, der in den 1990er Jahren angestimmt wurde, hat sich als voreilig erwiesen. Übergeneralisierende Modelle und die pseudoexperimentelle Sprache von „Variablen“ und „Randbedingungen“ haben sich als ungeeignet erwiesen, die heterogene Entwicklung in Osteuropa zu erklären. Auch die bloße Übertragung integrationstheoretischer Überlegungen zur EU auf den Osten wird dieser Aufgabe nicht gerecht: Das Gebot der Stunde ist theoriegeleitetes regionales Wissen für eine komparative Europäisierung der Osteuropaforschung.
Herta Schmid, Katrin Berwanger Memorandum über die Lage der Slawistik in Deutschland Die Liste polnischer, tschechischer und russischer Nobelpreisträger für Literatur, slawischer Maler, Komponisten, Regisseure, der Leistungen in Philosophie, Logik, Rhetorik, Theologie, moderner Linguistik, Ästhetik und Literaturtheorie ist lang. Namen wie Comenius, Bolzano, Dvořák, Kandinskij, Wajda, Stanislavskij, Rimskij-Korsakov, Szymborska, Mrożek, Čapek und Havel sind weltbekannt, doch wer in Deutschland vermag ihre Leistungen für die europäische Kultur zu würdigen? Angesichts der jahrhundertealten engen Vernetzung zwischen der deutschen und den slawischen Kulturen in Kunst, Literatur, Wirtschaft, politischem Denken und Religion ist es an der Zeit, die unselige Spaltung Europas infolge des Zweiten Weltkriegs auch in der Hochschulbildung zu überwinden. Die slawischen Kulturen sind ein ebenso wichtiger Teil europäischer Kultur- und Bildungstradition wie die westeuropäischen Kulturen. Sie dürfen nicht länger marginalisiert werden.