Der neue OSTEUROPA-Band „Revolution Retour. 1917–2017: Vorwärts und stets vergessen“ schaut 100 Jahre nach der Oktoberrevolution auf das Ereignis, die Folgen und die erinnerungspolitische Deutung. Die Autoren analysieren mit den Instrumenten der historischen Soziologie, der Sozialanthropologie und der Ideengeschichte den Revolutionsbegriff, durchleuchten die staatliche Geschichtspolitik und das kollektive Gedächtnis und fragen, welche Ausstrahlung sie trotz all der Gewalt und des Terrors heute noch hat.
Im Zentrum des Bandes steht Russland: Der Kreml versucht mit allen erinnerungspolitischen Mitteln, die emanzipatorischen Ideen der Revolution zu ersticken und den Bruch des Jahres 1917 zu verschleiern, um aus einer jahrhundertewährenden Kontinuität des Staates Legitimität für das heutige Regime zu schöpfen. Aus der Geschichte lernen heißt in der staatlichen Lesart zu erkennen, dass gesellschaftliche Pluralität und Dissens in den Bürgerkrieg münden. Der Blick in die Museen, in die Schulbücher, in die Arbeit der Historikerzunft und die Geschichtspolitik der Orthodoxen Kirche offenbart, wie der Konsenszwang Freiräume geschlossen hat und welche Nischen dennoch verblieben sind.
Außerdem im Band: Ukraine: Die Revolution 1917 im Lichte des Majdan. Belarus: Hybride Erinnerung an die Revolution. Georgien: Das verdrängte Erbe der Menschewiki.
Inhalt
EditorialEreignis und Erinnerung 5
Il’ja KalininAntirevolutionäre Revolutionserinnerungspolitik Russlands Regime und der Geist der Revolution 7
Lev Gudkov, Natalija ZorkajaInstrumentalisieren, Klittern, Verdrängen Russlands unerwünschtes Revolutionsjubiläum 19
Nikolaus KatzerRusslands langer Abschied Die Revolution als Geschichte und Gegenwart 43
Kategorien der Revolution
Andreas Heinemann-GrüderZerstörung und Ordnung Kurze vergleichende Soziologie der Revolution 65
Lev GudkovDer Sowjetmensch Genese und Reproduktion eines anthropologischen Typus 91
Jan C. BehrendsErbschaften kommunistischer Herrschaft Ein Versuch zum 100. Jahrestag der Revolution 113
Carsten Herrmann-PillathModernisierungsblockaden 1917–2017 Utopische Eigentumsrevolutionen in Russland 133
Roland GötzFortschritt ohne Anarchie? Die theorielose Praxis der sowjetischen Wirtschaftsplanung 145
Helmut KönigDie Gründung der Freiheit Hannah Arendt und die Theorie der Revolution 185
Bilder der Revolution
Ekaterina MakhotinaKeine Experimente Russlands Geschichtspolitik und die Revolution 211
Jan KusberWas nach hundert Jahren bleibt Russland und der Rote Oktober 1917 231
Nikolaj PlotnikovKonservative Sinnsuche Die russische Philosophie der Gegenrevolution 243
Margarete ZimmermannEinheit und Versöhnung Russlands Orthodoxe Kirche und die Erinnerung an die Revolution 259
Tatiana ZhurzhenkoNeuerfindung und Entsorgung Ukraine: Die Revolution 1917 im Lichte des Majdan 273
Kateryna MiščenkoSprachlose Revolution Der ukrainische Majdan. Ein Rückblick 291
Ljudmila NovikovaHorizonterweiterung Zur Historiographie der Russischen Revolution 295
Aleksej BratočkinHybride Erinnerung in Belarus Eine Literaturschau zur Oktoberrevolution 305
Kristiane JanekeRevolution im Museum 1917–2017: Heikles Gedenken in Russland 323
Philipp BürgerAusgelagert in die „Bad-Bank“ Revolution in Russlands Bildungspolitik und Schulbuch 343
Anna Schor-TschudnowskajaFragmente der Erinnerung Zum historischen Bewusstsein junger Russen 355
Andrej Linčenko / Daniil AnikinRevolution schlecht, Tradition gut Russlands Parteien und die Oktoberrevolution 371
Strahlen der Revolution
Bärbel Schmidt-ŠakićDie Revolution der Frauen Aleksandra Kollontaj und die Gleichstellung 383
Zaal AndronikashviliVerfemt und vergessen Georgiens Sozialdemokratie und das Jahr 1917 409
Daniel WeissEinheitlich bipolar Die Sprache des Sowjetsystems 425
Svetlana MalyševaTod in Rot Russland: Bestattungsriten nach der Revolution 437
Roland CvetkovskiDie Farben des Roten Oktober Die Revolution und die Kunst 449
Oula SilvennoinenVom Grenzland zum Nationalstaat Finnland und die Russischen Revolutionen 463
Abstracts 473