Am 31. Mai erscheint das Juniheft 2007 der „Blätter“ mit Beiträgen von Saskia SASSEN, Samir AMIN, Christa WICHTERICH, Horst MEIER, Gideon LEVY, Simon JENKINS, Otfried NASSAUER u.v.a.
Stefan Schoppengerd Kleine Geschichte der G8 Von Rambouillet nach Heiligendamm
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts sind die jährlichen G8-Gipfel zu umkämpften Orten geworden – nicht ohne Grund. Der Politikwissenschaftler Stefan Schoppengerd analysiert die politisch-inhaltliche Genese der G8, von den Anfängen als Kamingespräch vor 32 Jahren bis zu den heutigen symbolischen Großinszenierungen. Eines ist jedoch unverändert geblieben: das Ziel der Machtkonsolidierung der reichen Industriestaaten. Gleichzeitig werden die G8-Gipfel jedoch immer mehr zu Kristallisationspunkten von Protest und Widerstand und damit von globaler Öffentlichkeit und Demokratie – was ihren exklusiven und technokratischen Charakter gezielt konterkariert.
Christa Wichterich Globalisierung und Geschlecht Über neoliberale Strategien zur Gleichstellung
Frauen sind die eigentlichen Gewinnerinnen der Globalisierung – dies behaupten zumindest die Ökonomen von IWF und Weltbank. Christa Wichterich, Publizistin und entwicklungs-politische Gutachterin, geht den Versprechungen von Eigenverantwortung und Marktkonkurrenz nach. „Make markets work for women“: Diese neoliberale Strategie ist Wichterich zufolge zwar geeignet, Frauen als ökonomische „Ressource“ zu mobilisieren, nicht aber, ihre wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung nachhaltig zu verbessern. Ihr Fazit: Das ökonomische „Empowerment von Frauen“ durch die Weltbank empowert in Wirklichkeit neoliberale Ziele.
Saskia Sassen Die Dialektik von Welt und Nation Zur Transformation von Territorium, Autorität und Recht
In der politischen Öffentlichkeit gelten Globalisierung und Nationalstaat weithin als Gegensätze. Saskia Sassen, Professorin für Soziologie an der University of Chicago und an der London School of Economics, zeigt demgegenüber, dass es sich nicht um ein Nullsummenspiel handelt, sondern dass beide Seiten hochgradig miteinander verflochten sind. Im Zuge der gegenwärtigen Transformationen entstehen, so ihre These, neue politische Topographien – im und jenseits des Nationalstaates –, in denen Territorium, Autorität und Recht in neuartigen Formen miteinander verschmelzen.
Gideon Levy „Die israelische Gesellschaft liegt im Koma“ Zum 40. Jahrestag des Sechstagekrieges und der israelischen Besetzung
Die seit nunmehr 40 Jahren andauernde Besetzung palästinensischer Gebiete stellt längst keinen vorübergehenden Zustand mehr dar, sie ist „Normalität“ geworden. Der preisgekrönte „Haaretz“-Journalist und Buchautor Gideon Levy, der seit mehr als 20 Jahren das Leben und Leiden der Palästinenser dokumentiert, sieht Israel in einem dramatischen Zustand moralischer Gleichgültigkeit und Apathie. Denn das Problem der Besetzung wird in Israel „nicht mehr diskutiert, es ist unter den Teppich gekehrt“ – bei fortschreitender Entmenschlichung der Konfliktparteien.
Samir Amin Weltmacht Indien? Der Subkontinent zwischen kolonialem Erbe und globalem Aufstieg
Angesichts hoher wirtschaftlicher Wachstumsraten und neuer geopolitischer Konstellationen gilt Indien vielen Beobachtern als kommende Großmacht. Aber ist diese Sicht tatsächlich gerechtfertigt? In seinem Porträt der indischen Entwicklungsgeschichte seit der Unabhängigkeit unterzieht Samir Amin, Professor em. der Universitäten Dakar/Senegal und Paris (VII) und Direktor des Dritte Welt Forums in Dakar, diese Wahrnehmung einer scharfen Kritik. Angesichts des anhaltenden Massenelends, der inneren Konflikte und der regionalen Disparitäten könne von einer Weltmacht auf absehbare Zeit keine Rede sein.
Albrecht von Lucke 40 Jahre 2. Juni Die Geburt der 68er-Generation aus der Gewalt-Debatte
Offensichtlich wird die Republik in diesem Jahr von ihren Untoten heimgesucht. Das belegt nicht nur der Fall Filbinger/Oettinger, sondern auch die jüngste Reanimation der RAF. Albrecht von Lucke, Politikwissenschaftler und „Blätter“-Redakteur, erkennt in der Reduktion der erneut anbrechenden 68er-Debatte auf die reine Gewaltförmigkeit der RAF den neuesten Versuch der Delegitimierung der 68er-Generation – einer Generation, die sich im Gegenteil gerade in der ständigen Auseinandersetzung mit der Gewalt der RAF überhaupt erst formierte.
Horst Meier Gesetzloses Wunder Vom Sinn der Gnade
Gnade durch Recht, Gnade und Recht oder Gnade gegen Recht? Im Zuge der Diskussion um die (letztlich abgelehnte) Begnadigung von Christian Klar wurde auch darüber debattiert, ob Recht und Gnade überhaupt miteinander zu vereinbaren sind. Horst Meier, Jurist und Publizist, verfolgt den Weg der Gnade durch die Rechts-Geschichte – und plädiert entschieden für deren Beibehaltung als „gesetzloses Wunder“. Letzlich sei Gnade, so Meier, nicht an der Reue des zu Begnadigenden festzumachen, sondern sie treffe, als Relikt göttlicher Großzügigkeit, „eben den, den sie treffen soll, wie ein Blitz aus heiterem Himmel“.
Rainer Fischbach Die „Freiheit“ des Internet
Glaubt man den Marktforschern und Apologeten des World Wide Web, verspricht das Internet nicht nur ein boomendes Geschäft, sondern auch das Reich der medialen Freiheit und Gleichheit. Doch wie ist es tatsächlich darum bestellt? Rainer Fischbach, IT-Berater und Publizist, analysiert das Internet unter dem Gerechtigkeitsaspekt. Sein Fazit: Der bereits vorhandene „digitale Graben“ wird durch die kommenden Innovations- und Konzentrationsprozesse enorm vergrößert werden.
Außerdem:
Otfried Nassauer konstatiert angesichts der wachsenden Konflikte zwischen dem Westen und Russland „Das Ende der Abrüstung“ Simon Jenkins kritisiert den Thatcherismus à la Blair Bernard Schmid sieht „Frankreich vor der konservativen Revolution“ Frank Eckardt diskutiert Nicolas Sarkozys Programm für die Jugend Jürgen Gottschlich untersucht den „Backlash am Bosporus“ Helga Dickow kritisiert Robert Mugabes „Plünderung Simbabwes“ Irene Runge kommentiert die Neuregelung der jüdischen Einwanderung Gideon Botsch und Christoph Kopke analysieren „Die Basis der NPD“ Oliver Moldenhauer fragt nach der Gesundheitspolitik der G8 Albert Scharenberg polemisiert gegen den „Zoff im Hause Springer“ Benjamin-Immanuel Hoff kritisiert die „Verbraucherpolitik light“ Hermannus Pfeiffer prophezeit einen neuen Ressourcen-Kampf um die Meere
KOMMENTARE UND BERICHTE
Das Ende der Abrüstung von Otfried Nassauer S. 645
Es gibt keinen Blairismus von Simon Jenkins S. 648
Frankreich vor der konservativen Revolution von Bernard Schmid S. 651
Nicolas Sarkozy – Präsident der Jugend? Von Frank Eckardt S. 655
Backlash am Bosporus von Jürgen Gottschlich S. 658
Die Plünderung Simbabwes von Helga Dickow S. 661
Das jüdische Kontingent von Irene Runge S. 665
Die Basis der NPD von Gideon Botsch und Christoph Kopke S. 669
G 8 – Zu Risiken und Nebenwirkungen von Oliver Moldenhauer S. 672
MEDIENKRITIK Zoff im Hause Springer von Albert Scharenberg S. 676
ANALYSEN UND ALTERNATIVEN Kleine Geschichte der G 8 Von Rambouillet bis Heiligendamm Stefan Schoppengerd S. 677
Globalisierung und Geschlecht Über neoliberale Strategien zur Gleichstellung Christa Wichterich S. 686
Die Dialektik von Welt und Nation Zur Transformation von Territorium, Autorität und Recht Saskia Sassen S. 695
Weltmacht Indien? Der Subkontinent zwischen kolonialem Erbe und globalem Aufstieg Samir Amin S. 705
„Die israelische Gesellschaft liegt im Koma“ Zum 40. Jahrestag des Sechstagekrieges und der israelischen Besetzung Gideon Levy S. 717
40 Jahre 2. Juni Die Geburt der 68er-Generation aus der Gewalt-Debatte Albrecht von Lucke S. 727
Gesetzloses Wunder Vom Sinn der Gnade Horst Meier S. 742
Die „Freiheit“ des Internet Rainer Fischbach S. 749
WIRTSCHAFTSINFORMATION Umkämpfte Meere Hermannus Pfeiffer S. 756
UMWELTINFORMATION Verbraucherpolitik light Benjamin-Immanuel Hoff S. 759
DOKUMENTE ZUM ZEITGESCHEHEN Klimaschutz jetzt! Appell der Klima-Allianz vom 24. April 2007 (Wortlaut) S. 762
CHRONIK ZUM ZEITGESCHEHEN Chronik April 2007 S. 765
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