Liebe Leserinnen und Leser,
am 30. April erscheint die Mai-Ausgabe der „Blätter“ mit Beiträgen u.a. von Tony Judt, Günter Morsch, Oskar Negt, Birgit Mahnkopf, Hartmut von Hentig, Micha Brumlik und Thomas Gerlinger.
Tony Judt Sozialdemokratie der Angst Was lebt und was ist tot an der sozialen Demokratie?
Die dramatische Schwäche der Sozialdemokratie geht einher mit einer schweren Krise der sozialen Demokratie als solcher. Tony Judt, Direktor des Remarque Institute an der New York University und Autor unter anderem einer preisgekrönten Geschichte Europas, geht der Frage nach, ob die soziale Demokratie überhaupt noch in der Lage ist, dem Diktat des ökonomistischen Denken wirksam entgegenzutreten. Zu diesem Zweck fordert Judt eine "Sozialdemokratie der Angst", um die alt-europäische Errungenschaft des Sozialstaats zu bewahren und zu verteidigen.
Oskar Negt Das Mandat der Gewerkschaften Warum Krisenzeiten nur selten Erkenntniszeiten sind
Damit die gegenwärtigen Krisenzeiten auch zu Erkenntniszeiten werden, müssten die Gewerkschaften Alternativen zum Gesellschafts- und Arbeitssystem bieten, meint der Soziologe Oskar Negt. Nur durch entschiedene gesellschaftspolitische Erweiterung ihres Mandats könnten die Gewerkschaften wieder an Deutungshoheit gewinnen - und durch die selbstkritische Einbeziehung bisher ausgeschlossener Gruppen.
Birgit Mahnkopf Machtwechsel der Ideen Für die Entzauberung des neoliberalen Glaubens
Seit Ausbruch der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise wird häufig von einer "Zeitenwende" wirtschaftlichen Denkens gesprochen. Birgit Mahnkopf, Professorin für Europäische Gesellschaftspolitik und Gründungsmitglied des Instituts Solidarische Moderne, entlarvt diese Diktion als verfrühte Illusion, angesichts der anhaltenden Hegemonie des Neoliberalismus. Um einen echten Paradigmenwechsel einzuleiten, plädiert Mahnkopf für die Herausforderung der zentralen neoliberalen Schein-Wahrheiten - von Effizienz, Protektionismus und Wachstum.
Thomas Gerlinger Fortschritt und Enttäuschung: Obamas Gesundheitsreform
Kaum eine Sozialreform im Ausland stößt hierzulande auf derart große Aufmerksamkeit wie die Gesundheitsreform in den Vereinigten Staaten. Thomas Gerlinger, Professor für medizinische Soziologie an der Universität Bielefeld, fragt, ob Obamas Reform endlich den bisher fehlenden oder nur prekären Versicherungsschutz im weltweit teuersten Gesundheitssystem durch eine wirksame Absicherung ersetzen kann. Sein Befund: Wenngleich viele Probleme abgemildert werden, bleibt die Krankenversicherung ein teurer, löchriger Flickenteppich.
ETHOS DER ERZIEHUNG Der Streit um die Reformpädagogik
Hartmut von Hentig: Die Elemente der Erziehung Micha Brumlik: Die Reformpädagogik als internationale Bewegung
Kein Streit der letzten Jahre hat die Erziehungswissenschaften derart in Aufruhr versetzt wie der Konflikt um die Reformpädagogik. Hartmut von Hentig, Nestor der deutschen Erziehungswissenschaften und Gründer der Bielefelder Laborschule, erläutert die zehn konstituierenden Elemente seines Verständnisses von Reformpädagogik. Micha Brumlik, Erziehungswissenschaftler und Mitherausgeber der "Blätter", hinterfragt Hentigs umstrittenes Konzept der "pädagogischen Liebe" - ohne dabei die Reformpädagogik auf eine einzelne nationale Strömung zu reduzieren. Vielmehr verdeutlicht er die unterschiedlichen internationalen Ausprägungen der Bewegung und plädiert für eine Kontextualisierung des Konzepts zwischen Schule und Gesellschaft.
Günter Morsch Geschichte als Waffe Erinnerungskultur in Europa und die Aufgabe der Gedenkstätten
Europäische Geschichte ist stets einem Kampf um Interpretation und Erinnerung ausgeliefert. Der Leiter der Gedenkstätte Sachsenhausen, Günter Morsch, plädiert für eine gemeinsame Erinnerungskultur Europas. Trotz unterschiedlicher Erfahrungen mit nationalsozialistischem und stalinistischem System solle diese auf pluralen Ansätzen aufbauen. Die Verantwortung der Gedenkorte ist eine doppelte - sie liegt sowohl darin, selbstkritisch zu agieren, als auch eine selbstständige Auseinandersetzung mit Geschichte zu befördern.
INHALTSVERZEICHNIS
KOMMENTARE UND BERICHTE
Triade der Trippelschritte von Otfried Nassauer S. 5
Putins postsowjetische Sowjetunion von Wolf Oschlies S. 8
Mit dem Scheckbuch gegen die Taliban? von Behrooz Abdolvand und Michael Liesener S. 11
Sarkozy im Sinkflug von Bernard Schmid S. 15
Island: Wunderland ist abgebrannt von Sarah Ernst S. 18
Südkoreas "Green New Deal" von Jörg Michael Dostal S. 21
Rechts am Rhein von Frank Überall S. 24
Elena: Die neue Volkszählung von Daniel Leisegang S. 27
DEBATTE
Bloß nicht verhungern von Georg Rammer S. 31
MEDIENKRITIK
Zahlenspieler und Müßiggänger von Andreas Karsten S. 34
KOLUMNE
Amerikas und Israels wahre Interessen von William Pfaff S. 36
ANALYSEN UND ALTERNATIVEN
Sozialdemokratie der Angst. Was lebt und was ist tot an der sozialen Demokratie? Von Tony Judt S. 41
Das Mandat der Gewerkschaften. Warum Krisenzeiten nur selten Erkenntniszeiten sind von Oskar Negt S. 59
Machtwechsel der Ideen. Für die Entzauberung des neoliberalen Glaubens von Birgit Mahnkopf S. 65
Fortschritt und Enttäuschung: Obamas Gesundheitsreform von Thomas Gerlinger S. 77
Ethos der Erziehung: Der Streit um die Reformpädagogik Die Elemente der Erziehung von Hartmut von Hentig S. 85 Die Reformpädagogik als internationale Bewegung von Micha Brumlik S. 99
Geschichte als Waffe. Erinnerungskultur in Europa und die Aufgabe der Gedenkstätten von Günter Morsch S. 109
BUCH DES MONATS
Wie ticken die Reichen? von Jens Becker S. 74
DOKUMENTE ZUM ZEITGESCHEHEN
Memorandum 2010 der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik - Für Arbeitszeitverkürzung und eine neue Arbeitsmarktpolitik
CHRONIK
Chronik des Monats März 2010 S. 125
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