Mittelweg 36, Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung 14 (2005), 1

Titel der Ausgabe 
Mittelweg 36, Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung 14 (2005), 1
Weiterer Titel 
Heiße Kriege im Kalten Krieg

Erschienen
Erscheint 
zweimonatlich
ISBN
3-936096-18-X
Anzahl Seiten
116 Seiten, illustriert
Preis
€ 9,50 pro Ausgabe, € 48,- Jahresabonnement (6 Ausgaben)

 

Kontakt

Institution
Mittelweg 36. Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung
Land
Deutschland
c/o
Redaktion Zeitschrift »Mittelweg 36« des Hamburger Instituts für Sozialforschung Mittelweg 36 20148 Hamburg Tel.: 040/414 097 84 Fax.: 040/414 097 11 E-Mail: <zeitschrift@mittelweg36.de>
Von
Hansel, Patricia

Sehr geehrte Damen und Herren,
die neue Ausgabe der Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung ist erschienen. Sie ist ab sofort über den Buchhandel oder direkt bei der Redaktion zu beziehen.

Redaktion »Mittelweg 36«
Martin Bauer, Gaby Zipfel
Mittelweg 36, 20148 Hamburg
Tel.: 040/414097-0, Fax: 040/414097-11
Email: zeitschrift@mittelweg36.de

Weitere Informationen über das Institut und seine Publikationen finden Sie im Internet unter www.his-online.de

Mit freundlichen Grüßen

Patricia Hansel

Inhaltsverzeichnis

Editorial von Bernd Greiner

In der zeithistorischen Forschung zum Kalten Krieg liegt der Akzent nach wie vor auf dem Adjektiv des Begriffspaares. Gefragt wird, welche Konstellationen und Prozesse diese Epoche strukturell stabilisierten und den Ausbruch eines heißen Krieges zwischen den Supermächten verhinderten. Der transatlantische Friede ist vor dem Hintergrund der ersten Jahrhunderthälfte in der Tat keine Selbstverständlichkeit. Erst Recht nicht, wenn man die nach 1945 wiederholt auftretenden Konflikte um Berlin, Ungarn oder die Tschechoslowakei in Rechnung stellt. Insofern liegt die Versuchung nahe, die destabilisierende Dynamik als vergleichsweise nachrangig zu behandeln. In der Theorie des »Long Peace« hat dieser Blick seinen nachhaltigsten, um nicht zu sagen schulbildenden Ausdruck gefunden. Ohne die Verdienste dieser Arbeiten in Abrede stellen zu wollen, bleibt dennoch festzuhalten: Es handelt sich um eine eurozentristische Perspektive in der Tradition des Historismus. Was zählt, ist die unmittelbare Begegnung der Hegemonialen und deren untereinander gepflegte Kommunikation.

Der regionale Frieden war freilich nur um den Preis eines globalisierten Krieges zu haben. Mehr noch: Je stabiler der Friede in den Metropolen war, desto heftiger tobte der Krieg an der Peripherie. In die erste Entspannungsphase zwischen 1963 und 1965 fiel der Krieg in Vietnam, während der Detente der 70er Jahre eskalierten die Stellvertreterkriege in Afrika, Lateinamerika und Asien, bis schließlich die sowjetische Intervention in Afghanistan den Boden für eine neuerliche Eiszeit in den Ost-West-Beziehungen bereitete. Dieser Dualismus war keine Koinzidenz, sondern im ideologischen Drehbuch des Kalten Krieges niedergelegt. In allen Fällen ging es um das Bemühen, die Bastion des weltpolitischen Konkurrenten von den Rändern her zu untergraben und möglicherweise zu Fall zu bringen. Im Grunde wurde die südliche Halbkugel zum militärischen Spielball der Großmächte. Dorthin exportierten sie massenhaft Rüstung und kriegstaugliche Technologie, dort mischten sie sich in lokale Auseinandersetzungen ein, dort rekrutierten sie Bundesgenossen für ihre Sache oder orchestrierten »Stellvertreterkriege« – ein für alle Beteiligten kostspieliges Unterfangen. 1964 waren mehr britische Truppen östlich von Suez stationiert als an der NATO-Zentralfront in Europa, 54 000 davon allein in Südostasien. Wie viele Menschen in kleinen Kriegen ihr Leben hergeben mussten, auf daß der große Krieg verhindert würde, kann allenfalls geschätzt werden. Wahrscheinlich waren es Millionen. In jedem Fall zählt dieser 50jährige Krieg an der Peripherie zu den blutigsten Kapiteln der Neuzeit.

Man könnte auch von einer Fortsetzung der seit dem späten 17. Jahrhundert bekannten Kolonialkriege sprechen. Diese waren – zwar nicht durchgängig, aber in hohem Maße – mit exzessiver Gewalt geführte Kriege jenseits aller Regeln und Normen des Kriegsvölkerrechts, geprägt von vorsätzlichem Terror gegen Zivilisten, Vertreibungen und einer Strategie der verbrannten Erde. Daß der Kalte Krieg seinerseits die Entgrenzung von Gewalt beförderte, steht im Lichte historischer Erfahrungen zu vermuten. Sobald nicht nur wirtschaftliche oder strategische Interessen im Spiel sind, sondern Prestige, Glaubwürdigkeit, Demonstration von Macht und Selbstvergewisserung, werden Kriege in der Regel mit besonderer Entschiedenheit geführt. Die Macht der Symbole aber war im Kalten Krieg besonders ausgeprägt, sie trieb die Gewinne des Sieges und die Kosten der Niederlage gleichermaßen in die Höhe. Aus diesem Grund eskalierten die USA den Vietnamkrieg just zu dem Zeitpunkt, als sie eingesehen hatten, daß er nicht mehr zu gewinnen war; aus diesem Grund wollten die Russen einen längst verlorenen Krieg in Afghanistan nicht vorzeitig beenden. Verbündete in der Dritten Welt nutzten die Selbstfesselung der Metropolen auf ihre Weise. In vielen Fällen reichte die bloße Drohung, ein ideologisches Lager zu verlassen oder die Schutzmacht als unzuverlässig bloßzustellen, zur Sabotage eines möglichen Friedensschlusses – Tschiang KaiSchek, Kim Il Sung, Ngo Dinh Diem, Ho Tschi Minh oder Hafizullah Amin waren die Vorreiter einer Politik, die zu Recht als »Tyrannei der Schwachen« bezeichnet wird. Obwohl die einschlägigen Forschungen erst am Anfang stehen, sollte die These vom disziplinierenden Einfluss der Hegemonialmächte bereits heute revidiert werden. Sie verklärt mehr als sie erklärt.

Welche Rückwirkungen aber hatte die Gewalt der »kleinen Kriege« auf die Krieg führenden Gesellschaften? Sich dieser Frage nicht gestellt zu haben, gehört zu den größten Versäumnissen zeithistorischer Forschung. Von den menschlichen Opfern ganz zu schweigen, waren die materiellen Schäden – großflächige Umweltvernichtungen eingeschlossen – in der Dritten Welt exorbitant. Wesentlich schwerer wiegen die psychischen Schäden, zumal dort, wo über Generationen hinweg Kriege und Bürgerkriege tobten. In diesen Gesellschaften eine tragfähige soziale Ordnung aufzubauen, scheitert oft an dem Umstand, daß ihre im Krieg sozialisierten Eliten sich an die Gewalt als Lebensform, mitunter auch als Quelle materieller Reproduktion, gewöhnt haben. Überdies gibt es kaum Beispiele für eine gelungene Integration nichtstaatlicher Kampfverbände – Milizen, Guerillas oder tribalistische Formationen – in demokratische Strukturen. Daß die Art und Weise, wie alte Kriege verarbeitet werden, großen Anteil daran hat, ob und wie neue Kriege geführt werden, ist eine Binsenweisheit. Daß sie von hinreichenden wissenschaftlichen Befunden gestützt wird, kann allerdings nicht behauptet werden. Entsprechend dürftig fallen die Antworten aus, wenn gefragt wird, wie die in der Dritten Welt gemachten Kriegserfahrungen sich in der Ausbildung, der Doktrin oder der personellen und materiellen Ausstattung von Streitkräften großer Mächte niedergeschlagen haben. Oder wie sich das Bild des Krieges und die Konstruktion von Kriegerbildern im Gefolge der »kleinen Kriege« darstellten. Oder ob das Selbstbild einer auf das Kriegsvölkerrecht verpflichteten Zivilisation zur Problematisierung der an der Peripherie geübten Praktiken Anlaß gab.

Eine in dieser Weise akzentuierte Beschäftigung mit »heißen Kriegen« im Kalten Krieg gehört zu einem seit 2002 am Hamburger Institut für Sozialforschung etablierten Forschungsprojekt zur »Gesellschaftsgeschichte des Kalten Krieges«. (Vgl. Bernd Greiner, »Zwischen Totalem Krieg« und »Kleinen Kriegen«. Überlegungen zum historischen Ort des Kalten Krieges«, in: Mittelweg 36, 2, 2003, S. 3 – 20). In diesem Zusammenhang veranstaltete das Institut im Mai 2004 eine internationale Konferenz, deren Ergebnisse im nächsten Jahr in der Hamburger Edititon publiziert werden. Bei den nachfolgenden Beiträgen handelt es sich (um zum Teil gekürzte) Vorabdrucke aus diesem Band. Sie geben einerseits einen Überblick über den Forschungsstand und deklinieren andererseits die oben skizzierten Fragestellungen anhand ausgewählter Beispiele.

Weitere Tagungen zur »Gesellschaftsgeschichte des Kalten Krieges« werden sich mit folgenden Themen befassen: Eskalation und DeEskalation von Krisen; »Politik der Angst und Emotionen – zur Konjunktur des Ausnahmezustands«; »Culture of Secrecy« oder der Strukturwandel politischer Öffentlichkeit; Akkumulation und Vernichtung von Ressourcen – zur sozioökonomischen Dynamik des Kalten Krieges.
Der Mittelweg 36 wird in regelmäßigen Abständen über die im Hamburger Institut und außerhalb geführten Debatten zu diesen Fragestellungen berichten.

Beiträge zum Thema:

Robert J. McMahon
Heiße Kriege im Kalten Krieg. Überlegungen zu einem Paradox

Roger E. Kanet
Die sowjetische Unterstützung nationaler Befreiungskriege

Dierk Walter
Kolonialkrieg, Globalstrategie und Kalter Krieg. Die Emergencies in Malaya und Kenia 1948–1960

Jon V. Kofas
Die Truman-Doktrin und der griechische Bürgerkrieg 1946–1949

In der Literaturbeilage:
Léon Wurmser
Die Vernunft der Unvernunft. Betrachtungen eines Psychoanalytikers zu Don Quijote

Wolfgang Kraushaar: Aus der Protest-Chronik

Weitere Hefte ⇓
Redaktion
Veröffentlicht am
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Weitere Informationen
Sprache
Bestandsnachweise 0941-6382