Am 28. Januar dieses Jahres wurde im Hamburger Institut für Sozialforschung zum zweiten Mal der Siegfried-Landshut-Preis vergeben. Mit dem US-amerikanischen Soziologen George Steinmetz fiel die Wahl diesmal auf einen Wissenschaftler, dessen aufklärerischer Anspruch als Soziologe sich nicht nur auf die Gesellschaft erstreckt, sondern auch auf die eigene Disziplin, deren situierte Wissensproduktion stets eingebunden ist in Prozesse von Macht und Herrschaft. Welche Erkenntnisgewinne sich erzielen lassen, wenn man das kritische Instrumentarium der Soziologie auf ihre eigene Geschichte anwendet, hat Steinmetz besonders eindrücklich in der Auseinandersetzung mit dem kolonialen Erbe des Faches gezeigt. Die aktuelle Ausgabe des »Mittelweg 36« lädt dazu ein, einen Denker kennenzulernen, dessen historische Studien uns zusammen mit der Vergangenheit auch die Gegenwart unserer modernen Gesellschaften mit anderen Augen sehen lassen.
»Eine Idee, ein Preis und die Jahre« – unter diesem Titel erinnert Jan Philipp Reemtsma einleitend an die Vorgeschichte des Preises und die politische Verantwortung der Sozialwissenschaften. Daran anknüpfend stellt Wolfgang Knöbl den »Siegfried-Landshut-Preis und dessen Namensgeber vor und erläutert die Grundsätze und Motive, die der Etablierung des Preises zugrunde lagen. Die grundlegende Bedeutung, die »Respekt und Vielfalt« für das friedliche und solidarische Zusammenleben in demokratischen Gesellschaften haben, ist das Thema, dem sich Senator Dr. Carsten Brosda in seinem »Grußwort« widmet. Anschließend führt Laudatorin Teresa Koloma Beck in das ebenso umfangreiche wie vielschichtige Werk von George Steinmetz ein, dessen Arbeit sie als ein »Denken im Dialog« beschreibt. Der Hauptteil des Heftes versammelt drei Aufsätze des Preisträgers, die hier erstmals in deutscher Übersetzung vorliegen. Im ersten folgt Steinmetz den unterschiedlichen Einflüssen und Spuren, die »Historismus und Positivismus in der Soziologie« des 20. Jahrhunderts in Deutschland und in den USA hinterlassen haben. Sodann beschreibt er, wie »Soziologie und Kolonialismus« miteinander verstrickt sind und zeigt anhand exemplarischer Fälle, welche konstitutive Rolle koloniale Praktiken im Zuge der disziplinären Entwicklung des Faches spielten. Und in »Begriffsbeben« spürt er den begrifflichen und theoretischen Zäsuren nach, die zusammen mit dem Verständnis von Gesellschaft auch das Selbstverständnis der sie beobachtenden und beschreibenden Sozialwissenschaften im Laufe der Zeit veränderten. Abgerundet wird das Heft durch ein Interview, in dem George Steinmetz Auskunft über sein Leben und seine Arbeit gibt und erklärt, warum er sich als »Wanderer zwischen zwei Welten« fühlt.