Seit die Sozialwissenschaften vor einigen Jahren den Wutbürger als neue Unterart des Homo politicus entdeckten, hat dieser sich weit über Europa hinaus verbreitet. Wo er in Massen auftritt und sich zu populistischen Bewegungen zusammenschließt, setzt er die Institutionen und Verfahren der repräsentativen Demokratie unter Druck. Erleben wir den Aufstieg einer Politik des Ressentiments?
Man will Angst haben, bemerkt Ulrich Bröckling, denn wer Angst hat, darf beanspruchen, ernstgenommen zu werden. Was aber, wenn sich hinter der Behauptung, man habe Angst, vor Flüchtlingen etwa oder vor dem Islam, ganz andere Affekte verbergen? Über alte und neue Gespenster gerät eine Sozialwissenschaft, der die liberale Demokratie unausgesprochen als der Normalfall gilt, immer wieder neu ins Gruseln – für Wolfgang Knöbl Anlass zu einigen historisch-systematischen Anmerkungen zum »Populismus«.
Eignet sich Linkspopulismus als Gegengift? Grit Straßenberger begegnet einem Vorschlag Chantal Mouffes, Vertreterin einer radikal-pluralistischen Demokratietheorie, mit gehöriger Skepsis. Katharina Bluhm analysiert Ideologische Schlüsselkonzepte der neuen russischen Konservativen, deren gesellschaftstheoretischer Gegenentwurf zum „Westen“ hinter die Postmoderne zurückführt. Vom rechten Wahn schließlich und von der Rolle, die Verschwörungsfantasien derzeit für Strategien rechtsextremer Mobilisierung zukommt, handelt der Beitrag von Samuel Salzborn.
Unter dem Titel Organisationen und Holocaust fragen sich in der Beilage zu den Berliner Colloquien zur Zeitgeschichte Armin Nolzen und Michaela Christ, was die NS-Forschung von der systemtheoretischen Organisationssoziologie lernen kann. »So geht es nicht!«, resümierte frustriert ein Richter den Versuch des Stuttgarter Oberlandesgerichts, das neue Völkerstrafrecht auf Verbrechen im Kongo anzuwenden. Gerd Hankel klärt uns über die Probleme auf. Und in der Protest-Chronik berichtet Wolfgang Kraushaar vom erfolgreichen Widerstand polnischer Frauen gegen eine Verschärfung des Abtreibungsrechts.