Ein Schiff mit hunderten vor dem Ertrinken geretteter Menschen an Bord kann erst nach tagelanger Irrfahrt durchs Mittelmeer einen Hafen anlaufen, in Berlin drohen derweil die Union und die Regierung an der Frage zu zerbrechen, ob man bei der Flüchtlingsabwehr weiter auf eine europäische Lösung setzen oder den nationalen Alleingang antreten soll. Während der „Flüchtlingsstreit“ weiter das politische Tagesgeschäft bestimmt, unternimmt die neue Mittelweg 36-Ausgabe Probebohrungen im normativen Fundament einer Politik, die Zugehörigkeit in der exklusiven Form der Staatsbürgerschaft regelt und demokratische Vergemeinschaftung nur im nationalstaatlichen Rahmen denken kann.
Die heutigen Migrationsbewegungen, so meinen Rebecca Gulowski und Martin Oppelt, bieten Anlass zu einer gesellschaftlichen Selbstbefragung, die den Raum für erweiterte Vorstellungen von Solidarität und politischer Teilhabe öffnet: „Wir, neu betrachtet.“ Oliver Flügel-Martinsen untersucht überwunden geglaubte rassistische Ausgrenzungsfiguren im politischen Diskurs liberaler Demokratien und stößt dabei auf das Phantasma eines mit sich selbst identischen Volkes, dem er die „Postidentitäre Demokratie“ entgegenstellt. Oliver Marchart plädiert „Für eine Medeische Union“ – für ein Europa, das den Umgang mit Geflüchteten nicht allein zur humanitären Frage erklärt, sondern als Lackmustest für eine radikale Demokratie versteht, die auf einer Ethik der Selbstentfremdung gründet. Die „Grenzfigur Flüchtling“, so zeigt Julia Schulze Wessel, ist ein Produkt der exterritorialisierten und dynamisierten Grenzregime der Gegenwart. Zugleich fordern Geflüchtete nationale Grenzziehungen auf vielfältige Weise heraus. Um „Körper in Bewegung“ und ihre politische Bedeutung im Rahmen einer neuen Ein- und Aufteilung des gesamten Planeten geht es im Interview mit Achille Mbembe. Teresa Koloma Beck schließlich warnt davor, die Diskussion um diversity in der Wissenschaft auf Personalfragen zu verengen, und will stattdessen mit ihrem „Aufruf zum Aufstand“ eine epistemische Revolution anzetteln.
Wolfgang Kraushaar erklärt in der „Protest-Chronik“, wie 1966 die Idee eines Amsterdamer „Provos“ den niederländischen Ostermarsch zu einem politischen Großereignis werden ließ.