Wissenschaft und Forschung wären ohne Veröffentlichungen in Zeitschriften, Monografien, Sammelbänden oder Handbüchern undenkbar. Doch wie wirken sich die Bedingungen der Produktion und Zirkulation von Texten auf die Arbeitsweise und das Selbstverständnis der Wissenschaften aus? Wie frei und unabhängig ist ein System, das nicht nur von Erkenntnis-, sondern auch von Verwertungsinteressen bestimmt ist? Kurz: Wie funktionieren "Publikationsregime"? Um diese Fragen geht es im Jubiläumsheft des "Mittelweg 36", dessen erste Ausgabe vor 30 Jahren im April 1992 erschien.
Carlos Spoerhase beschreibt in seiner Einführung die tiefgreifenden und mannigfaltigen Veränderungen, die das "Veröffentlichen in den Geistes- und Sozialwissenschaften" im Zuge des digitalen Wandels erfährt, und schildert, wie die marktgerecht "Filetierte Vernunft" in immer kleineren Portionen angeboten und konsumiert zu werden droht. In "Publizieren am Limit" gibt Jerome E. Singerman einen Einblick in "Das schwierige Geschäft der nordamerikanischen Universitätsverlage". Ausgehend von einem historischen Abriss zur Geschichte der University Presses erläutert er die strukturellen Ursachen für die zunehmend prekäre finanzielle Lage der Hochschulverlage, die seit Jahren immer mehr Titel produzieren, aber immer weniger Exemplare verkaufen. Um "Wissenschaftliche Publikationspraktiken im fachkulturellen Vergleich" und die Bedeutung von Evaluationskriterien und Leistungsindikatoren geht es im Beitrag von Martina Franzen. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, was die Anwendung unterschiedlicher Bewertungsverfahren den einzelnen Disziplinen beschert: "Einheit oder Vielheit?" Die Textgattung der "Gegenwartsdiagnosen" und ihr Verhältnis zur Gesellschaftstheorie bildet den Gegenstand der Überlegungen von Frank Meyhöfer und Tobias Werron. Sie nehmen damit "Ein öffentliches Genre der Soziologie" in den Blick, das innerhalb des Faches zwar umstritten ist, für dessen gesellschaftliche Wahrnehmung aber immer wichtiger wird. "Wie Science-Fiction Geschichte wird – und umgekehrt" erläutert Caspar Hirschi anhand der sogenannten Jahreszahl-Bücher, die mit dem Anspruch auftreten, die geschichtsträchtigen Ereignisse einzelner Jahre identifizieren zu können und dabei häufig die Grenzen seriöser Geschichtswissenschaft überschreiten. "Die Macht der Übersetzungen" steht im Zentrum des Beitrags von Gisèle Sapiro, die anhand länder- und disziplinenübergreifender Studien zeigt, welche Faktoren über die internationale Verbreitung und damit auch über den Erfolg wissenschaftlicher Werke entscheiden. "Bloggen als subversive Praxis?" Dieser Frage widmet sich Lisa Regazzoni, die untersucht, wie sich das digitale Format des Wissenschaftsblogs auf die akademische Schreib- und Publikationspraxis auswirkt und zusammen mit den Weisen der Textproduktion auch das Temporalregime der Geistes- und Sozialwissenschaften herausfordert.
Zum Schluss lädt Steffen Mau im "Ortstermin" zu einem Rundgang durch das legendäre "Hotel Neptun" in Warnemünde ein. Zu Zeiten der DDR gleichermaßen Prestigeobjekt der Staatsführung wie Sehnsuchtsort der kleinen Leute, ist das traditionsreiche Haus am Ostseestrand auch mehr als dreißig Jahre nach dem Ende der deutschen Teilung kein gewöhnliches Urlaubsdomizil, sondern ein Ort, an dem die Vergangenheit in die Gegenwart hineinragt.