Historische Ausstellungen zeigen Geschichte. Was aber, wenn sie selbst Geschichte werden?
Zwei Ausstellungen, die zu historischen Ereignissen wurden, waren die Wehrmachtsausstellungen des Hamburger Instituts für Sozialforschung, die von 1995 bis 2004 sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der Fachwelt auf breites Interesse stießen und kontrovers diskutiert wurden. Sie markierten Zäsuren in der Vergangenheitspolitik wie auch in der Erinnerungskultur der Bundesrepublik und initiierten vielfältige Lernprozesse im Umgang mit dem Erbe des Nationalsozialismus – und das nicht nur auf Seiten des Publikums. Am 27. November 2021 jährt sich die Eröffnung der zweiten Wehrmachtsausstellung zum zwanzigsten Mal – Anlass für »Anmerkungen zu einer Ausstellung«, die zusammen mit unserem Wissen um die Geschichte auch unseren Blick auf sie verändert hat.
Als die grundlegend überarbeitete Ausstellung in den Berliner Kunst-Werken ihre Tore für das Publikum öffnete, war Jens Bisky vor Ort. »Zwanzig Jahre danach« situiert er die Ausstellung in ihrem zeitgeschichtlichen Kontext und setzt sie in Beziehung zur Vorgängerausstellung. Anschließend erläutert Ulrike Jureit, die Sprecherin des zweiten Ausstellungsteams, im Gespräch die wissenschaftlichen und didaktischen Herausforderungen der neukonzipierten Ausstellung und widerspricht dem Vorwurf, die Kritik an der Wehrmacht entschärft zu haben: »Das Bild fiel noch düsterer aus.“ Für das, »Was aus dem Rahmen fällt« und sich der einfachen Vermittlung entzieht, interessiert sich Peter Geimer, der anhand des unterschiedlichen Umgangs der beiden Ausstellungen mit dem umfangreichen Bildmaterial über »Fotografische Zeugenschaft und das Wissen der Schrift« nachdenkt. Um geschichtsdidaktische und rezeptionsästhetische Konsequenzen der zweiten Wehrmachtsausstellung geht es in dem Beitrag von Deborah Hartmann, Matthias Haß und Eike Stegen, die fragen, wie sich »Zeitgeschichte ausstellen« lässt und mit welchen Mitteln historische Großereignisse ebenso wie private Einzelschicksale für ein Publikum erfahrbar werden. Das starke Interesse rechtsextremer Akteure an der Ausstellung nimmt Janosch Steuwer in den Blick. In »Die trügerische Chance der Rechten« beschreibt er, wie Nationalisten und Rechtsradikale mit Demonstrationen gegen die Wehrmachtsausstellungen zwar Mobilisierungserfolge verbuchen konnten, aber letztlich gesellschaftlich isolierter zurückblieben. Die linken »Proteste gegen die Neonaziaufmärsche während der Wehrmachtsausstellung, 2001 bis 2004«, thematisiert Julia Hörath in »Opa halt’s Maul«. Leisere Töne schlägt Katrin Stoll an, die zeigt, was wir »Von Szymon Datner lernen« können, einem Shoah-Überlebenden und Historiker, der »Zur Dokumentation der Verbrechen der Wehrmacht in Polen aus jüdischer Sicht« gearbeitet hat. In einem Gespräch deutet Ulrich Herbert die Debatten um die beiden Wehrmachtsausstellungen als »Eine Art vergangenheitspolitischer Endkampf«, in dem vor dem Hintergrund der wenige Jahre zuvor vollzogenen Wiedervereinigung zusammen mit der nationalsozialistischen Vergangenheit auch das gegenwärtige Selbstverständnis Deutschlands verhandelt wurde. Komplettiert wird der Rückblick durch Auszüge aus den Reden der 1997 aus Anlass der ersten Wehrmachtsausstellung geführten Bundestagsdebatte sowie durch ausgewählte Einträge aus den Gästebüchern der zweiten.