Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 61 (2010), 11

Titel der Ausgabe 
Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 61 (2010), 11
Weiterer Titel 
Ideengeschichte – Intellectual History

Erschienen
Erscheint 
monatlich

 

Kontakt

Institution
Geschichte in Wissenschaft und Unterricht
Land
Deutschland
c/o
Prof. Dr. Michael Sauer Universität Göttingen Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte Didaktik der Geschichte Waldweg 26 37073 Göttingen Tel. 0551/39-13388 Fax 0551/39-13385
Von
Sauer, Michael

Editorial von Winfried Schulze:

Die „Informationen für Neue Medien“ in diesem Heft dokumentieren, dass die Geschichte von Ideen eines der Gebiete darstellt, die überwiegend im europäischen und internationalen Kontext erforscht werden, ein positives Erbe des deutschen Späthistorismus, der vor allem seit den Arbeiten von Friedrich Meinecke und seiner in die Vereinigten Staaten emigrierten Schüler wichtige Anregungen zur Erforschung des europäischen politischen Denkens gegeben hat. Natürlich ist die Forschung nicht bei den Methoden stehen geblieben, die von der Meinecke-Schule entwickelt worden sind. Gerade in der Auseinandersetzung mit ahistorischen Konzeptionen der Politikwissenschaft ihrer Zeit entwickelte die in allen Beiträgen dieses Heftes angesprochene Cambridge School seit den 60er und frühen 70er Jahren eine neue ideengeschichtliche Methode, die am ehesten als grundsätzlich kontextualisierende und umfassend historische Einordnung von Werk und Verfasser interpretiert werden kann. Zugleich aber geht auf sie eine auch heute immer noch faszinierende Deutung der europäisch-atlantischen Ideengeschichte zurück, die vom florentinischen „Bürgerhumanismus“ über die englische politiktheoretische Diskussion des 17. Jahrhunderts zu den republikanischen Konzepten Nordamerikas und der westlichen Welt führt.

Diese Verengung, die nicht nur zu einer Marginalisierung der genuinen politischen Theoriediskussion Mitteleuropas, vor allen Dingen der naturrechtlichen Diskussion beigetragen hat, ist u. a. der Angriffspunkt des Beitrages von Cornel Zwierlein, der sich mit dem berühmtesten Sekretär der Weltgeschichte, mit Niccolò Machiavelli, auseinandersetzt. Seine Deutung betont eine andere Qualität seiner Arbeiten, die Entwicklung einer Methode des Lernens aus historischen Exempeln und der Analyse von Regelmäßigkeiten, die für die praktische Politik zu nutzen sind. Weniger der Machiavelli der virtú als der Machiavelli des Diskurses steht hier im Mittelpunkt.

Eingeleitet wird unser Heft von einem Beitrag von Günter Lottes, der sich schon mehrfach mit dem Stand von Ideengeschichtsschreibung beschäftigt hat. Sein aktueller Beitrag setzt an der Tatsache an, dass die Fülle der Einzelforschungen im Bereich der Geistesgeschichte der letzten Jahrzehnte sich immer mehr der übergreifenden Deutung entziehen. Die hierfür notwendigen Voraussetzungen, insbesondere das Problem der Bildung aussagekräftiger Gruppen von Autoren und Texten, steht im Vordergrund seines Beitrages. Seine Beispiele aus der Geistesgeschichte der Neuzeit machen zudem deutlich, dass die moderne intellectual history ohne die verstärkte Einbeziehung „außertextueller Strukturen“, d. h. der politischen und gesellschaftlichen Bedingungen von Denken und Schreiben, nicht auskommen kann.

Die enigmatische Selbstdeutung, die sich Carl Schmitt 1955 als „weißer Rabe, der auf keiner schwarzen Liste fehlt“, gab, mag die andauernde Faszination dieses Denkers zumindest teilweise erklären. Jan-Friedrich Mißfelder unternimmt den nicht ganz leichten Versuch, diese umstrittene Persönlichkeit von unglaublich stark nachwirkender Präsenz kritisch zu würdigen. Dabei fällt aus methodischer Sicht sofort auf, dass Schmitt in sich die Bedeutung der europäischen Geistesgeschichte vielfach widerspiegelt. Seine Grundposition politischen Denkens, die auf die Herstellung und Sicherung von „konkreter Ordnung“ hinausläuft, ist kaum ohne den Einfluss des englischen Theoretikers Thomas Hobbes zu verstehen, der damit die Erfahrungen des frühen 17. Jahrhunderts an die Mitte des 20. Jahrhunderts übergibt. Der Beitrag bietet auch einen tiefen Einblick in die intellektuelle Geschichte der frühen Bundesrepublik Deutschland und ihre – auch für die Geschichtswissenschaft wichtigen – verschiedenen „Konstellationen“. Insofern setzt der Beitrag in besonderer Weise die methodischen Errungenschaften einer intellectual history neuen Stils um, die wir in diesem Heft präsentieren wollten.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt der Ausgabe 11/10

ABSTRACTS (S. 618)

EDITORIAL (S. 619)

BEITRÄGE

Günther Lottes
Die Kontexte der Texte. Perspektiven der Kontextanalyse in der neuen Ideengeschichte (S. 620)

Cornel Zwierlein
Am Ursprung der neueren I ntellectual History. Machiavelli und Machiavellismus (S. 631)

Jan-Friedrich Mißfelder
Schwärme weißer Raben. Carl Schmitts Ideen und Konstellationen (S. 645)

INFORMATIONEN NEUE MEDIEN

Gregor Horstkemper/Alessandra Sorbello Staub
Vom goldenen Zeitalter bis zum neuen Mittelalter. Virtuelle Meilensteine der Geschichtsphilosophie (S. 661)

LITERATURBERICHT

Heinz Schilling
Konfessionalisierung Teil V: Veröffentlichungen zum 17. und 18. Jahrhundert; Varia und Nachträge (S. 663)

NACHRICHTEN (S. 681)

Abstracts der Ausgabe 11/10

Günther Lottes
Die Kontexte der Texte
Perspektiven der Kontextanalyse in der neuen Ideengeschichte
GWU 61, 2010, H. 11, S. 620–630

Der Beitrag setzt sich mit den methodischen Konsequenzen der Kontextualisierungsforderung in der neuen Ideengeschichte auseinander. In einem ersten Schritt werden mit dem Blick auf die Entwicklung der politischen Sprachen in England und den Hegemonieanspruch der Aufklärung in Frankreich Probleme der Korpusbildung diskutiert. Im Anschluss daran geht es um den vom Kontextualisierungsparadigma häufig ausgeblendeten Zusammenhang von Wissensbesitz und Kontextualisierung, die im Sinne einer synchronen und einer diachronen Kontextualisierung aufeinander bezogen werden müssen. Abschließend wird das Problem der nicht- oder außertextlichen Kontexte der Textproduktion vor allem im Hinblick auf die „Struktursituation der Intelligenz“ (Hans H. Gerth) erörtert.

Cornel Zwierlein
Am Ursprung der neueren Intellectual History
Machiavelli und Machiavellismus
GWU 61, 2010, H. 11, S. 631–644

Die neuere Intellectual History der sogenannten Cambridge School (John Pocock, Quentin Skinner) hat ihre Wurzeln u. a. im deutschen Späthistorismus, bei den vor dem Nazi-Regime geflüchteten Historikern Felix Gilbert und Hans Baron, Schülern Friedrich Meineckes. Auch aufgrund dieses Erbes ist die derzeit dominante angloamerikanische Interpretation von Niccoló Machiavelli (1469 – 1527) als Republikaner einseitig. Eine hierzu querstehende Interpretation von Machiavelli als Autor einer neuen politischen Methode wird vorgeführt. Schließlich wird die Vieldeutigkeit und Chiffrierung, die Machiavelli/Machiavellismus vom 16. bis ins 21. Jahrhundert erfahren haben, skizziert: Gerade diese Deutungspluralität macht ihn zu einem hervorragenden Gegenstand im Schulunterricht.

Jan-Friedrich Mißfelder
Schwärme weißer Raben
Carl Schmitts Ideen und Konstellationen
GWU 61, 2010, H. 11, S. 645–660

Der Aufsatz erprobt am Beispiel Carl Schmitts (1888 –1985) zwei neuere methodische Ansätze der Ideengeschichte. Schmitts Aufsatz zur „Tyrannei der Werte“ von 1967 wird einerseits im Sinne der Cambridge School of intellectual history als Intervention in juristische und politische Debatten der Nachkriegszeit interpretiert und in der Genealogie des Schmitt’schen Werkes verortet. Andererseits werden die kommunikationsgeschichtlichen Horizonte des Textes mit der Methode der Konstellationsforschung erschlossen.

Weitere Hefte ⇓
Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Klassifikation
Weitere Informationen
Sprache
Bestandsnachweise 0016-9056