Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 62 (2011), 1-2

Titel der Ausgabe 
Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 62 (2011), 1-2
Weiterer Titel 
Erinnerungsorte

Erschienen
Erscheint 
6 Doppelhefte pro Jahr

 

Kontakt

Institution
Geschichte in Wissenschaft und Unterricht
Land
Deutschland
c/o
Prof. Dr. Michael Sauer Universität Göttingen Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte Didaktik der Geschichte Waldweg 26 37073 Göttingen Tel. 0551/39-13388 Fax 0551/39-13385
Von
Sauer, Michael

IN EIGENER SACHE:

Liebe Leserinnen und Leser,

mit dem Beginn des Jahres 2011 wird sich die Erscheinungsweise der GWU verändern. Die Zeitschrift wird von jetzt an in sechs Doppelheften pro Jahr erscheinen; der Gesamtumfang bleibt unverändert. Die bisherige monatliche Erscheinungsweise – aufgelockert durch zwei Doppelhefte im Sommer – entsprach nicht mehr den Produktions- und Rezeptionsgewohnheiten, wie sie sich bei Fachzeitschriften in unserem Bereich heutzutage eingebürgert haben. Das neue Modell bietet die Möglichkeit, die bisher im Umfang eng begrenzten Schwerpunktthemen breiter anzulegen und stärker auszudifferenzieren. Und wir können Ihnen in Ergänzung zu den Schwerpunkten vermehrt einzelne nicht themengebundene Beiträge präsentieren, für die bislang nur schwer Raum zu finden war. Wir hoffen, dass die Vorteile des neuen Modells Sie überzeugen werden.

Ihre Herausgeber

Editorial von Winfried Schulze

Die neue Erscheinungsweise von GWU beginnt mit einem Heft, dessen Schwerpunkt die "Erinnerungsorte" bilden. Es gibt kaum ein Konzept in der neueren Geschichte unseres Fachs, das in den letzten beiden Jahrzehnten vergleichbare Wirkungen gezeigt hat. Dies gilt nicht nur für die vielfältigen Übernahmen dieses Konzepts in anderen nationalen und epochalen Kontexten, über die die Beiträge von Kornelia Kon´ czal und von Karl-Joachim Hölkeskamp und Elke Stein-Hölkeskamp umfassend informieren, sondern auch für die methodischen Grundannahmen, die ihm zugrunde liegen. Die damit implizierte Variante von Geschichte als Wahrnehmungsgeschichte hat in den letzten beiden Jahrzehnten einen enormen Aufschwung genommen und hat dafür gesorgt, der Geschichte immer stärker ihre vermeintliche Objektivität zu nehmen und statt dessen jene Aspekte zu betonen, die auf die subjektive Wahrnehmung historischer Tatbestände zielen. Der einleitende Beitrag von Christoph Cornelißen macht freilich deutlich, dass einer zu breiten Übertragung des Konzepts der "lieux de mémoire" Grenzen gesetzt sind, die sich vor allem dann erweisen, wenn es um die Begründung einer gesamteuropäischen Erinnerungskultur geht. Auch wenn die politischen Rahmenbedingungen dafür (zu) günstig erscheinen, bleiben die nationalen Erinnerungskulturen und die ganz unterschiedlichen Erfahrungshintergründe ein wichtiges Hemmnis bei der Etablierung gesamteuropäischer Erinnerung, deren Kosten in einer schleichenden "Enthistorisierung" der Vergangenheit bestehen könnten. Es bleibt jedoch die Aufgabe bestehen, die differenzierten historischen Erfahrungen der europäischen Nationen mit einer gemeinsamen, historisch begründeten Wertvorstellung zu verbinden. Mit dem Begriffen "Heimat"- und "Regionalgeschichte" wird im gleichen Heft von Dietmar Schiersner die Frage nach der Bedeutung des Raums aufgenommen, die bei der Konstituierung von Geschichtsbewusstsein eine entscheidende Rolle spielt. Eine exemplarische Anregung für den Unterricht bietet in diesem Sinne der Beitrag von Detlev Kraack. Gleichsam von der Europa entgegengesetzten Seite stellt sich bei diesem Ansatz das Problem der angemessenen Behandlung der geschichtskonstituierenden Räume, die freilich in ihrer prägenden Kraft auch nicht überbewertet werden dürfen. Es wird darauf ankommen, die richtige Balance zwischen den unterschiedlichen identitätsbildenden Faktoren zu finden. Die Beiträge dieses Hefts können dabei behilflich sein, nicht zuletzt der Beitrag von Stephan Scholz über das "Tagebuch der Anne Frank", einen "Erinnerungsort" eigener Art der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts, der die Nachkriegsgenerationen geprägt hat.

Inhaltsverzeichnis

INHALT DER AUSGABE 1-2/2011

ABSTRACTS (S. 2)

EDITORIAL (S. 4)

IN EIGENER SACHE (S. 4)

BEITRÄGE

Christoph Cornelißen
Die Nationalität von Erinnerungskulturen als ein gesamteuropäisches Phänomen (S. 5)

Kornelia Kończal
Pierre Noras folgenreiches Konzept von les lieux de mémoire und seine Re-Interpretationen: eine vergleichende Analyse (S. 17)

Karl-Joachim Hölkeskamp/Elke Stein-Hölkeskamp
Erinnerungsorte (in) der Antike – Programm eines Projektes (S. 37)

Dietmar Schiersner
Alter Zopf oder neue Chance? Regionalgeschichte in Historiographie und Geschichtsunterricht (S. 50)

Detlev Kraack
Ausdeutungen und Umdeutungen von Geschichte im wilhelminischen Schleswig-Holstein. Möglichkeiten und Potentiale eines regional ausgerichteten Geschichtsunterrichts am Beispiel der Stadt Plön um 1900 (S. 61)

Stephan Scholz
"Seltsamer Triumphzug" Zu den Ursachen des bundesdeutschen Erfolgs des "Tagebuchs der Anne Frank" in den 1950er Jahren (S. 77)

Noyan Dinçkal/Detlev Mares
Die Stadt als vernetztes System. Didaktische Möglichkeiten im Schnittfeld von Stadt-, Umwelt- und Technikgeschichte (S. 92)

INFORMATIONEN NEUE MEDIEN

Gregor Horstkemper/Alessandra Sorbello Staub, Virtuelle Erinnerungskultur (S. 106)

LITERATURBERICHT

Justus Cobet, Altertum (S. 109)

NACHRICHTEN (S. 124)

AUTORINNEN UND AUTOREN (S. 128)

ABSTRACTS DER AUSGABE 1-2/2011

Christoph Cornelißen
Die Nationalität von Erinnerungskulturen als ein gesamteuropäisches Phänomen
GWU 62, 2011, H. 1/2, S. 5–16

Obwohl in jüngster Zeit der Vorschlag diskutiert worden ist, die großen Katastrophen des langen 20. Jahrhunderts als Ankerpunkte eines europäischen Geschichtsbewusstseins einzusetzen, hat sich die Nationalität der Erinnerungskulturen als ein beharrliches Phänomen erwiesen. Im Blick auf dieses Resultat diskutiert der Beitrag einerseits die historischen Hintergründe und politischen Rahmenbedingungen. Andererseits skizziert er die Potenziale und Grenzen der neueren Bestrebungen zu einer Europäisierung kollektiver Gedächtnisse.

Kornelia Kończal
Pierre Noras folgenreiches Konzept von les lieux de mémoire und seine Re-Interpretationen: eine vergleichende Analyse
GWU 62, 2011, H. 1/2, S. 17–36

In den letzten 15 Jahren erschienen in Europa mehrere umfangreiche Publikationen über nationale, regionale oder grenzüberschreitende Erinnerungsorte. Das von dem französischen Historiker Pierre Nora formulierte Konzept der lieux de mémoire (1984-1992) erlebte somit eine beispiellose Karriere. Seine methodischen und empirischen Re-Interpretationen in Italien, Deutschland, Österreich, den Niederlanden, Luxemburg und Russland belegen die Elastizität und die Fruchtbarkeit des Erinnerungsorte-Ansatzes.

Karl-Joachim Hölkeskamp/Elke Stein-Hölkeskamp
Erinnerungsorte (in) der Antike – Programm eines Projektes
GWU 62, 2011, H. 1/2, S. 37–49

Vor dem Hintergrund der anhaltenden Diskussion über das Konzept des ‚Erinnerungsortes‘, seinen Inhalt, seine prinzipielle Anwendbarkeit und seine konkrete Anwendung in repräsentativen ‚nationalen‘ Großpublikationen bedarf das Projekt der ‚Erinnerungsorte der Antike‘ einer besonderen Rechtfertigung. Die verschiedenen, jedoch miteinander vermittelten Bedeutungsdimensionen des Konzeptes und ihre Umsetzung in einem eigenen Programm werden hier entfaltet und im Kontext der modernen althistorischen Forschung näher begründet.

Dietmar Schiersner
Alter Zopf oder neue Chance? Regionalgeschichte in Historiographie und Geschichtsunterricht
GWU 62, 2011, H. 1/2, S. 50–60

Neue Raum-Konzepte führen in der Geschichtswissenschaft seit längerer Zeit zu fruchtbaren Denk- und Forschungsanstößen. Die Impulse dieses „spatial turns“ scheinen jedoch bislang nicht in den Lehrplänen und kaum in der Praxis des Geschichtsunterrichtes angekommen zu sein. Aber auch die Geschichtsdidaktik muss erst noch ein konsequent räumliches Konzept ihres Gegenstandes entwickeln und in Kooperation mit den ebenfalls am Raum orientierten Nachbarwissenschaften weiterführen zu einer interdisziplinären "Didaktik der Regionalität". Diese öffnet sich nicht zuletzt für Fragestellungen, die insbesondere empirischen Methoden zugänglich sind.

Detlev Kraack
Ausdeutungen und Umdeutungen von Geschichte im wilhelminischen Schleswig-Holstein Möglichkeiten und Potentiale eines regional ausgerichteten Geschichtsunterrichts am Beispiel der Stadt Plön um 1900
GWU 62, 2011, H. 1/2, S. 61–76

Geschichtsunterricht kann vor der eigenen Haustür beginnen. Dort regen Orte, Gebäude und Denkmäler zu Fragen an und helfen Prozesse entdeckenden Lernens zu initiieren. So lässt sich selbst die per se abstrakte Umdeutung von Geschichte dem Verständnis erschließen. Wie dies gelingen kann, ist Gegenstand des vorliegenden Aufsatzes. Konkret geht es am Plöner Beispiel darum, wie die anachronistische Einbettung der schleswig-holsteinischen in die kleindeutsch-preußische Geschichte dazu beitrug, dass die 1867 zu Beginn der preußischen Herrschaft wenig begeisterten Schleswig-Holsteiner innerhalb nur einer Generation zu überzeugten Preußen wurden.

Stephan Scholz
„Seltsamer Triumphzug“. Zu den Ursachen des bundesdeutschen Erfolges des „Tagebuches der Anne Frank“ in den 1950er Jahren. Zu den Ursachen des bundesdeutschen Erfolgs des „Tagebuchs der Anne Frank“ in den 1950er Jahren
GWU 62, 2011, H. 1/2, S. 77–91

Das „Tagebuch der Anne Frank“ war in der Bundesrepublik der 1950er Jahre das meistverkaufte Taschenbuch und das am häufigsten aufgeführte Bühnenstück. In dem Beitrag werden die Ursachen für den beispiellosen Erfolg untersucht. Es wird die These vertreten, dass der Erfolg kein Zeichen einer früh einsetzenden Vergangenheitsbewältigung war, sondern vielmehr in einem engen Zusammenhang mit dem vorherrschenden Verdrängungsbedürfnis stand. Es wird gezeigt, dass der Erfolg maßgeblich durch die vier Mechanismen von Verschonung, Versöhnung, Verallgemeinerung und Vereinnahmung begünstigt wurde.

Noyan Dinçkal/Detlev Mares
Die Stadt als vernetztes System. Didaktische Möglichkeiten im Schnittfeld von Stadt-, Umwelt- und Technikgeschichte
GWU 62, 2011, H. 1/2, S. 92–105

Der Beitrag versteht sich als Plädoyer dafür, die Wechselwirkungen zwischen Stadt-, Umwelt- und Technikgeschichte für die Geschichtsdidaktik fruchtbar zu machen. Ausgehend von der „vernetzten Stadt“ des 19. und 20. Jahrhunderts werden dabei vor allem die zunehmende Interaktion komplexer technischer Systeme und die damit unmittelbar verknüpften Folgewirkungen für ihre sozialen und natürlichen Umwelten in den Blick genommen. Nachdem in einem ersten Schritt die begrifflichen und historischen Grundlagen der „vernetzten Stadt“ und daran anschließend die Beschäftigung mit dem Thema in der fachdidaktischen Literatur erörtert werden, konzentriert sich der Aufsatz auf verschiedene Ansätze, die für eine didaktische Problematisierung der „vernetzten Stadt“ von Bedeutung sind. Dabei zeigt sich, dass das Thema ein enormes Potenzial zur Auseinandersetzung mit wesentlichen Dimensionen von Geschichtsbewusstsein birgt und darüber hinaus Ansätze liefert, die technischen und kulturellen Grundlagen der gegenwärtigen Organisation des gesellschaftlichen Lebens zu begreifen.

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