Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 63 (2012), 5-6

Titel der Ausgabe 
Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 63 (2012), 5-6
Weiterer Titel 
Wikipedia

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monatlich

 

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Institution
Geschichte in Wissenschaft und Unterricht
Land
Deutschland
c/o
Prof. Dr. Michael Sauer Universität Göttingen Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte Didaktik der Geschichte Waldweg 26 37073 Göttingen Tel. 0551/39-13388 Fax 0551/39-13385
Von
Schinkel, Etienne

Editorial von Winfried Schulze

„Mir ist eine gewisse Ähnlichkeit aufgefallen. Bei Mercators Karte, die für die Seefahrt perfekt ist, werden jedoch die Flächen verzerrt. Da ist Grönland zum Beispiel genauso groß wie Afrika, obwohl das nicht der Wirklichkeit entspricht. Bei Wikipedia gibt es Vergleichbares: Star Wars und Shakespeare haben etwa gleich viele Einträge.“ So antwortete Jimmy Wales, der Begründer der online-Enzyklopädie, Anfang März dieses Jahres in Duisburg auf die Frage nach Parallelen zwischen Mercators Weltkarte und Wikipedia. Seine Antwort macht deutlich, wo die Stärken und Schwächen Wikipedias liegen: In ihrer unbestreitbaren Nützlichkeit einerseits und in ihrer perspektivischen Verzerrung andererseits.

Damit ist zugleich die Grundfrage angesprochen, die alle bewegt, die vor diesem – „durchaus faszinierenden“ (so Peter Haber) – Phänomen stehen und nach Möglichkeiten des vernünftigen Umgangs damit suchen. Zwei Ebenen sind dabei, auch für unsere Zeitschrift, von besonderem Interesse. Auf der einen Seite stellt sich die vielfach diskutierte Frage, welchen Grad an wissenschaftlicher Verlässlichkeit einem Informationssystem wie Wikipedia beigemessen werden kann und welche Konsequenzen daraus für die universitäre Ausbildung gezogen werden können. Zum anderen geht es darum, wie auf der Ebene des schulischen Geschichtsunterrichts mit Wikipedia umgegangen werden kann, das natürlich zu einer beständigen Konkurrenz zu den üblichen Informationsmitteln des Geschichtsunterrichts geworden ist.

Es ist bemerkenswert, dass die sachlich sicher oftmals berechtigte Kritik an einzelnen Beiträgen in Wikipedia immer einen zur Perfektion neigenden Vergleichsmaßstab entwickelt, der in einer historischen Perspektive kaum gerechtfertigt erscheint. Wer die Entstehungsgeschichte vergleichbarer Projekte von der berühmten Encyclopédie Diderots von 1751 bis zum Brockhaus der Nachkriegszeit kennt, weiß auch um die zeitbedingten Ungenauigkeiten, Verzerrungen und Unrichtigkeiten. Warum sollte dies bei einem Unternehmen wie Wikipedia anders sein, dessen Entstehungsprozess viel weniger hierarchisch verläuft als in den Redaktionen der früheren Nachschlagewerke? Insofern scheinen mir die in den vier Beiträgen dieses Heftes entwickelten Strategien der kritischen Nutzung von Wikipedia und der aktiven Beteiligung daran der einzige Weg zu sein, sich des unbezweifelbaren Nutzens von Wikipedia zu bedienen, ohne ihr zum Opfer zu fallen. Und schließlich sollte immer bedacht werden, dass es sich bei Wikipedia um ein Unternehmen handelt, das den früher üblichen nationalen oder kulturell eng begrenzten Wirkungskreis einer Enzyklopädie systematisch transzendiert und damit ein System globalen Wissens in Angriff genommen hat, dessen langfristige Wirkungen wir jetzt nur erahnen können. Welche Verständigungschancen stecken allein in dieser Qualität Wikipedias?

Zwei Konsequenzen scheinen nach dem erreichten Stand der Debatte der inzwischen ausufernden Wikipediaforschung angebracht: Zum einen die stärkere Suche nach Wegen, um die Ergebnisse kritischer Wissenschaft aktiv in Wikipedia einzuführen, hier gilt es noch viele Berührungsängste zu überwinden. Das in dem Beitrag von Johannes Mikuteit beschriebene Projekt, in Seminaren Beiträge für Wikipedia zu verfassen, scheint mir ein wichtiger und beispielhafter Anstoß zu sein. Zum anderen wäre über die im Anschluss an den Beitrag von Michael Sauer über die Kompetenzen von Geschichtslehrern naheliegende Frage nachzudenken, wie und wo in der Geschichtslehrerausbildung mediale Kompetenzen ihren angemessenen Platz erhalten. Angesichts der Tatsache, dass Wikipedia in absehbarer Zukunft andere Informationsquellen marginalisieren wird, sollten beide Probleme möglichst bald gelöst werden.

Inhaltsverzeichnis

INHALT DER GWU 5-6/2012

ABSTRACTS (S. 258)

EDITORIAL (S. 260)

BEITRÄGE

Peter Haber
Wikipedia. Ein Web 2.0 Projekt, das eine Enzyklopädie sein möchte (S. 261)

Jan Hodel
Wikipedia und Geschichtslernen (S. 271)

Johannes Mikuteit
Informations- und Medienkompetenz entwickeln. Studierende als Autoren der Online-Enzyklopädie Wikipedia (S. 285)

Ilja Kuschke
Ein produktorientierter Ansatz zum kritischen Umgang mit Wikipedia im Geschichtsunterricht (S. 291)

Franziska Conrad
„Alter Wein in neuen Schläuchen“ oder „Paradigmenwechsel“? Von der Lernzielorientierung zu Kompetenzen und Standards (S. 302)

Michael Sauer
Kompetenzen für Geschichtslehrer – was ist wichtig und wo sollte es gelernt werden? Ergebnisse einer empirischen Studie (S. 324)

Etienne Schinkel
Die Darstellung des Vichy-Regimes in aktuellen französischen Geschichtsschulbüchern (S. 349)

DISKUSSIONEN

Hans-Wilhelm Eckhardt/Elke Langendorf
Historische Sinnbildung im Spannungsfeld von Geschichtsunterricht, Studium und Lehrerausbildung (S. 366)

INFORMATIONEN NEUE MEDIEN

Alessandra Sorbello Staub
Das Netz als Nachschlagewerk (S. 373)

LITERATURBERICHT

Joachim Rohlfes
Geschichtsdidaktik, Teil 3 (S. 376)

NACHRICHTEN (S. 382)

AUTORINNEN UND AUTOREN (S. 384)

ABSTRACTS DER GWU 5–6/2012

Peter Haber
Wikipedia. Ein Web 2.0-Projekt, das eine Enzyklopädie sein möchte
GWU 63, 2012, H. 5/6, S. 261–270

Ausgehend von einem Forschungsseminar 2010 an der Universität Wien geht der Beitrag der Frage nach, ob Wikipedia für den Geschichtsunterricht ein taugliches Instrument ist oder nicht. Der methodische Ansatz orientiert sich an der 2009 publizierten Forschungsskizze „Wikipedia und die Geschichtswissenschaft“ sowie an Impulsen aus der internationalen Forschungsinitiative „Critical Point of View“. Im Vordergrund stehen die Qualität historisch relevanter Wikipedia-Einträge und die Rezeption von Information und Wissen im schulischen und universitären Kontext.

Jan Hodel
Wikipedia und Geschichtslernen
GWU 63, 2012, H. 5/6, S. 271–284

Die Wikipedia überlässt die Prüfung ihrer Inhalte den Nutzern. Entsprechend wird gefordert, dass Schüler die Fähigkeiten für eine solche Prüfung von Wikipedia-Inhalten erlangen sollen. In der Geschichtsdidaktik wird dabei auf das Methodenrepertoire der Quellenkritik verwiesen. Doch die Überprüfung historischer Aussagen ist ein voraussetzungsreiches und anspruchsvolles Unterfangen. Die Vereinfachung dieser Methoden birgt die Gefahr, rein formale Prüfverfahren zu generieren. Der kompetente Umgang mit historischen Texten in der Wikipedia erfordert jedenfalls ein fundiertes Verständnis von Geschichte.

Johannes Mikuteit
Informations- und Medienkompetenz entwickeln
GWU 63, 2012, H. 5/6, S. 285–290

In einem Aufbau- und Projektseminar am Historischen Seminar der Universität Kiel verfassten Studierende Artikel für die Online-Enzyklopädie Wikipedia. Aufgabe war es ferner, die Kritik an einem Wikipedia-Artikel vorzustellen und schriftlich einzureichen. Nach einführenden Sitzungen erarbeiteten sich die Teilnehmer in „Gruppen“ das notwendige Spezialwissen, z. B. auf (urheber-)rechtlichem Gebiet. Dabei lernten die Teilnehmer das Wikipedia-Regelwerk kennen. Ziel des Seminars war es, das kritische Verständnis für die häufig von Schülern und Studierenden genutzte Online-Enzyklopädie zu schärfen sowie die Informations- und Medienkompetenz der Teilnehmer zu entwickeln.

Ilja Kuschke
Ein produktorientierter Ansatz zum kritischen Umgang mit Wikipedia im Geschichtsunterricht
GWU 63, 2012, H. 5/6, S. 291–301

Im vorliegenden Artikel wird ein produktorientierter Unterrichtsversuch über die Arbeit mit und an der Wikipedia in der gymnasialen Oberstufe im Fach Geschichte skizziert. Hierbei sollen Schülerinnen und Schüler bei Gruppen- und Projektarbeiten zu einzelnen Sachthemen, Personen oder Ereignissen eines im Kurs behandelten Oberthemas eigene Artikel verfassen. Diese werden zunächst vom Kurses bzw. der Kursleitung begutachtet und schließlich in die online-Enzyklopädie eingestellt, wo eine weitere Betrachtung und mögliche Korrektur oder Optimierung der Produkte durch die gesamte Wikipedia-Community stattfinden kann.

Franziska Conrad
„Alter Wein in neuen Schläuchen“ oder „Paradigmawechsel“?
GWU 63, 2012, H. 5/6, S. 302–323

Bei Lehrkräften herrscht gegenwärtig Unklarheit bezüglich der Unterscheidung zwischen Kompetenzen und Standards einerseits und den herkömmlichen Lernzielen andererseits. Diese Verwirrung wird durch die Unterschiedlichkeit der Lehrpläne und ihrer Kompetenzmodelle in den 16 Bundesländern verstärkt. Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Lernziel- und Kompetenzorientierung können im Rückgriff auf den zugrunde gelegten Lernbegriff, die didaktische Orientierung sowie die bildungspolitischen Intentionen erklärt werden. Bei der Unterrichtsplanung sollten Lernziele für eine einzelne Stunde bzw. eine Unterrichtssequenz formuliert, aber es sollte auch ihr Bezug zu den fachlichen Kompetenzen und Standards im jeweiligen Lehrplan deutlich gemacht werden.

Michael Sauer
Kompetenzen für Geschichtslehrer – was ist wichtig und wo sollte es gelernt werden? Ergebnisse einer empirischen Studie
GWU 63, 2012, H. 5/6, S. 324–348

Der Beitrag behandelt die Frage, wie unterschiedliche Gruppen angehender oder amtierender Geschichtslehrkräfte (Novizen-Experten-Design) fachbezogene Kompetenzen in Hinblick auf deren berufliche Relevanz einschätzen, wo nach ihrer Meinung diese Kompetenzen vermittelt werden sollten und ob selbst erfahrene Ausbildungsangebote sich dafür eignen. Für am wichtigsten gehalten werden die Kompetenzbereiche Fachwissenschaft und Unterrichtsplanung, von den angebotenen Einzelkompetenzen die Fähigkeit zum adäquaten Umgang mit Quellen und Darstellungen (sowohl bei den Lehrkräften selber wie ihre Vermittlung an Schülerinnen und Schüler). Generell zeigt sich eine Diskrepanz zwischen der Zuschreibung von Kompetenzvermittlung an die erste und zweite Ausbildungsphase und der Beurteilung der Lehrveranstaltungen im Hinblick auf die tatsächliche Vermittlung dieser Kompetenzen. Insbesondere die Hochschule wird als Ort der Kompetenzvermittlung jenseits der Fachwissenschaft eher kritisch gesehen, besonders von Fachleitern und Praktikern.

Etienne Schinkel
Die Darstellung des Vichy-Regimes in aktuellen französischen Geschichtsschulbüchern
GWU 63, 2012, H. 5/6, S. 349–365

Anhand von vier exemplarisch ausgewählten französischen Geschichtsschulbüchern des 21. Jahrhunderts geht der Beitrag der Frage nach, wie die Zeit der deutschen Okkupation von 1940 bis 1944 bzw. das Vichy-Regime didaktisch aufbereitet sind und ob die Lehrwerke den gegenwärtigen Vergangenheitsbewältigungsdiskurs in Frankreich fördern oder diesem entgegenstehen. Darüber hinaus werden Kriterien aufgezeigt, die unter Berücksichtigung der aktuellen Forschungsergebnisse erfüllt sein müssen, um von einer angemessenen Darstellung der französischen Kollaboration mit den Nationalsozialisten sprechen zu können.

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