Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 65 (2014), 1–2

Titel der Ausgabe 
Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 65 (2014), 1–2
Weiterer Titel 
Gendergeschichte

Erschienen
Erscheint 
monatlich

 

Kontakt

Institution
Geschichte in Wissenschaft und Unterricht
Land
Deutschland
c/o
Prof. Dr. Michael Sauer Universität Göttingen Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte Didaktik der Geschichte Waldweg 26 37073 Göttingen Tel. 0551/39-13388 Fax 0551/39-13385
Von
Sauer, Michael

Editorial von Peter Burschel

Das vorliegende Heft geht auf zwei Beobachtungen zurück: auf die anhaltenden Diskussionen um das Verhältnis von Geschlechtergeschichte und Gesellschaftsgeschichte und damit immer auch im das Verhältnis von Geschlechtergeschichte und „Allgemeiner Geschichte“; und auf die weit verbreitete Kritik, dass Geschlechtergeschichte in den Schulen noch immer nicht die Aufmerksamkeit finde, die den lebensweltlichen Bedürfnissen von Schülerinnen und Schülern gerecht wird – weder in der Didaktik noch in den Lehrplänen noch im Unterricht selbst.

Die ersten drei Beiträge versuchen vor diesem Hintergrund, Geschlechtergeschichte und „Allgemeine Geschichte“ so aufeinander zu beziehen, dass Geschlecht als historiographische Kategorie im Sinne des Konzeptes der „eigenen Geschichte“ konstitutiv bleibt und damit vor allem die Sichtbarkeit von Frauen und weiblichen Erfahrungszusammenhängen gewährleistet wird. Gleichzeitig aber sind die Beiträge darum bemüht, dass geschlechtergeschichtliche Ansätze ihre Bedeutung für die Untersuchung gesamtgesellschaftlicher historischer Prozesse behalten und auf diese Weise dazu beitragen, „die Geschichte umzuschreiben“, wie Claudia Opitz-Belakhal jüngst zuspitzend formuliert hat. So fragt Britta Kägler nach dynastischen Eheschließungen in der frühen Neuzeit, um die vielfältigen Dynamiken (und Transfers) vormoderner Geschlechterordnungen in herrschaftlichen Verdichtungssituationen und -prozessen freizulegen. Ihr Fazit: Männer mochten ein größeres Mitspracherecht bei der Wahl ihrer Partnerinnen gehabt haben als die Frauen bei der Wahl ihrer Partner, die Frauen aber waren es, die als Ehefrauen, Mütter, Witwen oder Regentinnen neue Ehen stifteten. Marion Röwenkamp kombiniert sozial-, wissenschafts-, rechts- und geschlechtergeschichtliche Ansätze, um das Bemühen von Frauen um die Zulassung zu juristischen Berufen in Deutschland in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts – bei aller Vorsicht – auch als Versuch verstehen zu können, politischen, sozialen und intellektuellen Wandel zu beschleunigen. Indem es Frauen gelang, als Juristinnen zu arbeiten, konnten sie auch öffentlich in neuer Weise Einfluss nehmen und schließlich zum Inbegriff von „Staatsbürgerinnen“ werden. Beate Fieseler schließlich lässt keinen Zweifel daran, dass die Massenmobilisierung von rund 500.000 Frauen in der Sowjetunion zu Beginn des Zweiten Weltkriegs keine nachhaltigen „emanzipatorischen“ Folgen hatte. Im Gegenteil: Als der Krieg zu Ende ging, wurden die Rotarmistinnen nicht nur rasch aus dem Militär entlassen, sondern auch moralisch stigmatisiert, wie nicht zuletzt die bislang wenig beachteten Selbstzeugnisse weiblicher Armeeangehöriger erkennen lassen.

Die folgenden beiden Beiträge nehmen die zweite Beobachtung auf, indem sie versuchen, zwei Untersuchungsfelder, die in der vergangenen Jahren die besondere Aufmerksamkeit der historischen Forschung gefunden haben, für Geschichtsdidaktik und Geschichtsunterricht zu erschließen. So zeigt Francisca Loetz am Beispiel von Fällen interpersoneller sexualisierter Gewalt im neuzeitlichen Zürich, wie eine Historisierung dieser Gewalt aussehen kann – und was sie für den Unterricht zu leisten vermag. Und Martin Lücke führt vor Augen, wie historische Männlichkeitsforschung dazu in der Lage ist, Geschichte als einen Erfahrungsraum zu entwerfen, der es erlaubt, die geschlechtliche Kodierung von Staats-, Politik- und Gesellschaftsentwürfen aufzudecken. Männlichkeitengeschichte, so Lücke, ermögliche es in besonderer Weise, historisches Lernen und die lebensweltlichen Bedingungen dieses Lernens in Einklang zu bringen, und eröffne darüber hinaus aussichtsreiche Perspektiven für das Zusammenspiel von „Wissenschaft und Unterricht“. Perspektiven, so ließe sich hinzufügen, die auch zu erkennen geben, wie eng die beiden Beobachtungen, die am Anfang des vorliegenden Heftes stehen, aufeinander bezogen werden müssen.

Inhaltsverzeichnis

INHALT DER GWU 1–2/2014

ABSTRACTS (S. 2)

EDITORIAL (S. 4)

BEITRÄGE

Britta Kägler
Dynastische Ehen in der Frühen Neuzeit. Partnerwahl zwischen Sozialprestige und Außenpolitik (S. 5)

Marion Röwekamp
Geschlecht, Recht und Profession. Zur Geschichte der ersten deutschen Juristinnen (S. 21)

Beate Fieseler
Patriotinnen, Heldinnen, Huren? Frauen in der Roten Armee 1941–1945 (S. 37)

Francisca Loetz
Sex, Crime und Geschichtsschreibung. Interpersonelle Gewalt und Geschlecht als Thema des Geschichtsunterrichts (S. 55)

Martin Lücke
His-story, her-story, viele Männer und eine halbe Frau. Männlichkeitengeschichte, Geschichtsdidaktik und Geschichtsunterricht (S. 70)

Björn Opfer-Klinger
Der Mythos vom Priesterkönig Johannes (S. 83)

INFORMATIONEN NEUE MEDIEN

Alessandra Sorbello Staub
Gender im Netz. Aktuelle Publikationsorgane zu Gender Studies und Geschlechtergeschichte (S. 92)

LITERATURBERICHT

Raimund Schulz/Uwe Walter
Altertum, Teil V (S. 95)

NACHRICHTEN (S. 123)

AUTORINNEN UND AUTOREN (S. 128)

ABSTRACTS DER GWU 1–2/2014

Britta Kägler
Dynastische Ehen in der Frühen Neuzeit. Partnerwahl zwischen Sozialprestige und Außenpolitik
GWU 65, 2014, H. 1/2, S. 5 – 20

In der Frühen Neuzeit waren dynastische Eheschließungen von immenser Bedeutung und stellten eine Grundkonstante der Politik dar. Das private Glück eines Ehepaares spielte keine entscheidende Rolle. Braut und Bräutigam waren beliebig einsetzbare Objekte dynastischer Politik. Im Vordergrund standen vielmehr politische Bündnisse, Grenzerweiterung und Sozialprestige. Der Beitrag stellt anhand der vormodernen Heiratspolitik eine Verbindung zwischen der engeren Gendergeschichte und der allgemeinen Geschichte her.

Marion Röwekamp
Geschlecht, Recht und Profession. Zur Geschichte der ersten deutschen Juristinnen
GWU 65, 2014, H. 1/2, S. 21 – 36

Die Geschichte der ersten deutschen Juristinnen zeigt die Kämpfe der Juristinnen um den Zugang zu den juristischen Berufen, bis 1922 ein Gesetz erlassen wurde, dass ihnen den Zugang zu allen juristischen Berufen gestattete. Deutschland war damit im internationalen Vergleich spät, allerdings war es wegen der deutschen juristischen Einheitsausbildung auch fast der einzige Staat, der Frauen als Richterinnen, nicht nur als Rechtsanwältinnen zuließ. Der Aufsatz beschäftigt sich anschließend mit der Berufsausübung der Juristinnen sowie ihrem Beitrag zu den verschiedenen Rechtsreformprojekten zugunsten von Gleichheitsrechten für Frauen in der Weimarer Republik.

Beate Fieseler
Patriotinnen, Heldinnen, Huren?. Frauen in der Roten Armee 1941–1945
GWU 65, 2014, H. 1/2, S. 37 – 54

Während des Zweiten Weltkrieges dienten fast eine Million Frauen in der Roten Armee, etwa zur Hälfte als Freiwillige, die andere Hälfte wurde seit 1942 auf staatlichen Befehl in verschiedenen Kampagnen mobilisiert. Während die Mehrheit der Soldatinnen im medizinischen Dienst der Roten Armee tätig war, kämpften einige auch als Kombattantinnen an der Front (Pilotinnen, Scharfschützinnen, Panzerfahrerinnen) in rein weiblichen oder gemischten Einheiten und wurden für ihre Leistungen mit hohen Orden ausgezeichnet. Nach Kriegsende wurde der Sieg jedoch als rein männlicher Erfolg konstruiert. In der Folge fielen die Frauen der Roten Armee entweder gesellschaftlicher Verachtung anheim oder gerieten in Vergessenheit.

Francisca Loetz
Sex, Crime und Geschichtsschreibung. Interpersonelle Gewalt und Geschlecht als Thema des Geschichtsunterrichts
GWU 65, 2014, H. 1/2, S. 55 – 69

Interpersonelle Gewalt ist ein schwieriges Thema. Schwierig, weil kontrovers ist, was unter Gewalt zu verstehen ist; schwierig, weil die Geschichtsschreibung – wie auch andere Forschungsdisziplinen – Gewalt bislang auf wenige Gewaltformen eingeengt hat. Die Frage nach dem Wandel der vielfältigen Formen interpersoneller Gewalt wirft Grundsatzfragen auf, die es für die Forschung wie für den Schulunterricht zu thematisieren lohnt. Der Beitrag geht auf einige dieser Fragen mit Beispielen sexualisierter Gewalt aus der Frühen Neuzeit und der Gegenwart ein und skizziert, welche Diskussionsperspektiven das Thema Gewalt eröffnet.

Martin Lücke
His-tory, her-story, viele Männer und eine halbe Frau. Männlichkeitengeschichte, Geschichtsdidaktik und Geschichtsunterricht
GWU 65, 2014, H. 1/2, S. 70 – 82

Der Beitrag untersucht, wie historische Männlichkeitenforschung für ein Nachdenken über Geschichtsdidaktik und Geschichtsunterricht nutzbar gemacht werden kann. Dabei werden zunächst Entwicklungen der Männlichkeitengeschichte skizziert, bevor nach Implikationen für die Didaktik der Geschichte gefragt wird. Der Beitrag schließt mit einem Ausblick, inwiefern das Erkenntnisinteresse der Männlichkeitengeschichte für eine Analyse von Rahmenlehrplänen und Curricula nutzbar gemacht werden kann.

Björn Opfer-Klinger
Der Mythos vom Priesterkönig Johannes
GWU 65, 2014, H. 1/2, S. 83 – 91

Im Zusammenhang mit den sog. „Entdeckungsfahrten“ taucht immer wieder die Suche nach dem christlichen Priesterkönig Johannes als ein wichtiger Beweggrund auf. Die Hintergründe dieses Mythos sind jedoch selten bekannt. Dies liegt auch daran, dass afrikanische Geschichte und Perspektiven aus verschiedenen Gründen fast nie im Unterricht berücksichtigt werden. Der Beitrag zeigt auf, dass die afrikanisch-europäischen Kontakte auch vor dem westeuropäischen Kolonialismus wesentlich ausgeprägter waren, als es das oft vermittelte eurozentristische Geschichtsbild der Lehrpläne und damit des normalen Unterrichts vermuten lassen.

Weitere Hefte ⇓
Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Klassifikation
Weitere Informationen
Sprache
Bestandsnachweise 0016-9056