Empirische Forschung ist in der Geschichtsdidaktik längst zu einer Selbstverständlichkeit geworden und die methodische Qualität der Untersuchungen hat in letzten Jahren deutlich zugenommen. Dennoch bleiben thematische Desiderate. Mit einigen davon – teils aus der Lehrer-, teils aus der Schülerforschung – befassen sich die Beiträge des vorliegenden Heftes. Die (adäquate) Planung von Geschichtsunterricht gehört zu den zentralen Kompetenzen von Geschichtslehrkräften. Während des Referendariats steht sie im Fokus der Ausbildung, aber auch schon im Studium wird sie angebahnt und in Praxisphasen erprobt und reflektiert. Grundlage für die Realisierung von Unterrichtsplanung ist die Verfügung über ein entsprechendes Planungswissen. Instrumente zur Messung eines fachspezifischen geschichtsdidaktischen Planungswissens sind bislang erst in Ansätzen entwickelt und angewendet worden. Der Beitrag von Jörgen Wolf u.a. berichtet über die Konstruktion und Erprobung eines Messinstruments, das Planungswissen über die Dimensionen „Ziele und Prinzipien“, „Phasierung und Strukturierung“, „Medien“ und „Aufgabenerstellung/Arbeitsaufträge“ modelliert. Unterrichtsvignetten finden in Forschung und Lehre zunehmend Verwendung. Ausgehend von einem komplexen Modell von Geschichtslehrerkompetenzen stellen Manfred Seidenfuß, Christian Heuer und Mario Resch das Instrument Unterrichtsvignette zunächst allgemein vor und charakterisieren dann unterschiedliche Formate und Anwendungssettings für die Lehre. Vignetten, dies wird deutlich, eignen sich vor allem dazu, außerhalb komplexer Anforderungssituationen wie Praktika eine handlungsentlastete praxisorientierte Reflexion zu ermöglichen. Untersuchungen zur (Geschichts-)Schulbuchforschung sind mittlerweile nahezu unüberschaubar. Das gilt allerdings nicht für Studien zu der Frage, wie Lehrkräfte diese Bücher tatsächlich für ihren Unterricht nutzen. Michael Sauer referiert die Ergebnisse einer Online- Lehrerbefragung zu diesem Thema. Hauptergebnisse sind eine hohe Bedeutung und intensive Nutzung für und im Unterricht, verbunden mit einem eher konventionellen Nutzungsprofil, das sich auf Materialseiten und Verfassertexte konzentriert. Zum Teil ergeben sich deutliche schulformspezifische Unterschiede. Neben das im deutschsprachigen Raum vorherrschende Quellenparadigma des Geschichtsunterrichts tritt zunehmend eine Orientierung an der Geschichtskultur, wenngleich entsprechende Veränderungen der Curricula sich nur langsam vollziehen. Ziel ist, Schülerinnen und Schüler zum kritischen Umgang mit unterschiedlichen Erscheinungsformen und Präsentationsformaten von Geschichtskultur zu befähigen. Hier steht also nicht die Analyse von Quellen, sondern von Darstellungen und Deutungen der Vergangenheit im Mittelpunkt. Empirische Studien zu der Frage, wie Schülerinnen und Schüler mit solchen Darstellungen umgehen können, sind noch rar. Christoph Kühberger, Herbert Neureiter und Wolfgang Wagner orientieren sich konzeptionell an der im FUER-Kompetenzmodell entwickelten De-Konstruktionskompetenz. Sie berichten über eine österreichische Studie, deren Testinstrument in den einzelnen Aufgaben systematisch unterschiedliche mediale Formate vom Schulbuchtext bis zum Blogeintrag abbildet. Ihr Resümee: Die Untersuchung zeige zwar eine gewissermaßen ganzheitliche Fähigkeit zur De-Konstruktion, lasse aber keine weiteren formatspezifischen Differenzierungen zu. Klausuren sind die übliche Form des Leistungsnachweises in der Sekundarstufe II. Schülerinnen und Schüler sollen hier komplexe geistige Operationen vollziehen. Matthias Bode hat vergleichend 64 Klausuren aus parallelen Oberstufenkursen untersucht. Er gelangt zu äußerst differenzierten Befunden im Hinblick auf die mehr oder weniger gelungene Umsetzung der einzelnen Klausuraufgaben in allen Texten und speziell im Hinblick auf einzelne Kursprofile.
Von Michael Sauer
INHALT
Abstracts (S. 370) Editorial (S. 372)
Beiträge
Mareike BöthJörgen Wolf/Joana Seiffert/Andreas Seifert/Martin Rothland/Nicola BrauchDas geschichtsdidaktische Planungswissen von angehenden Geschichtslehrer/innen Entwicklung und Pilotierung eines Testinstruments zur Messung des fachdidaktischen Planungswissens von Lehramtsstudierenden im Fach Geschichte (S. 373)
Manfred Seidenfuß/Christian Heuer/Mario ReschUnterrichtsvignetten in Forschung und Lehre (S. 393)
Michael SauerWie verwenden Geschichtslehrkräfte Schulbücher? Ergebnisse einer Lehrerbefragung (S. 406)
Christoph Kühberger/Herbert Neureiter/Wolfgang WagnerUmgang mit Darstellungen der Vergangenheit Historische De-Konstruktionskompetenz empirisch messen (S. 418)
Matthias BodeKlausuren im Kursvergleich – ein Werkstattbericht (S. 435)
Diskussion
Wolfgang MasetBilingualer Geschichtsunterricht (S. 457)
Informationen Neue Medien
Gregor HorstkemperAriadnefäden aus Musenhänden Der Clio Guide als Orientierungshilfe für das historische Arbeiten (S. 472)
Literaturbericht
Ulrich MüllerArchäologie, Teil II (S. 475)
Nachrichten (S. 485)
Autorinnen und Autoren (S. 488)
ABSTRACTS
Jörgen Wolf/Joana Seiffert/Andreas Seifert/Martin Rothland/Nicola BrauchDas geschichtsdidaktische Planungswissen von angehenden Geschichtslehrer/Innen Entwicklung und Pilotierung eines Testinstruments zur Messung des fachdidaktischen Planungswissens von Lehramtsstudierenden im Fach Geschichte GWU 69, 2018, H. 7/8, S. 373 – 392 Die Fähigkeiten von angehenden Geschichtslehrkräften zur Planung von Geschichtsunterricht sind bislang kaum Gegenstand empirischer Forschung gewesen. Der vorliegende Beitrag stellt die Entwicklung und Pilotierung eines Testinstruments zur Messung des geschichtsdidaktischen Planungswissens von Lehramtsstudierenden im Fach Geschichte vor (n = 365). Dazu werden die untersuchten Inhaltsbereiche und Wissensarten, die sich aus der geschichtsdidaktischen Theorie und kognitionswissenschaftlichen Ansätzen ableiten, skizziert. Es werden Beispielaufgaben präsentiert und die Validierung des Testinstruments anhand der empirischen Befunde erläutert. Diese verweisen auf eine Zunahme des untersuchten Planungswissens im Studienverlauf, wobei nicht alle Wissensbereiche und -arten in gleicher Weise ausgebildet werden. Die Befunde werden abschließend eingeordnet und diskutiert.
Manfred Seidenfuß/Christian Heuer/Mario ReschUnterrichtsvignetten in Forschung und Lehre GWU 69, 2018, H. 7/8, S. 393 – 405 Unterrichtsvignetten sind auf den Unterricht bezogene Sequenzen, die unterrichtliche Probleme aus dem Unterrichtsalltag in unterschiedlichen Präsentationsformaten (Text, Video, Comic, Animation oder Mischformen) zeigen. Mit diesem Instrument kann das für den Geschichtsunterricht relevante Fachwissen von Geschichtslehrpersonen, das an einem Modell verdeutlicht wird, empirisch erhoben werden. In diesem Beitrag werden auch die Potenziale von Unterrichtsvignetten für die verschiedenen Phasen der Lehrerbildung dargestellt und mögliche Perspektiven für die Ausbildung von Geschichtslehrpersonen abgeleitet.
Michael SauerWie verwenden Geschichtslehrkräfte Schulbücher? Ergebnisse einer Lehrerbefragung GWU 69, 2018, H. 7/8, S. 406 – 417 Der Beitrag berichtet über die Ergebnisse einer Online-Befragung zum Schulbuchnutzungsverhalten und zur Schulbucheinschätzung von Geschichtslehrkräften. Zentrale Ergebnisse sind eine hohe Bedeutung von Schulbüchern für die Lehrkräfte und eine dementsprechend intensive Nutzung. Diese ist eher konventionell und konzentriert sich auf die klassischen Schulbuchbausteine Materialseiten und Verfassertexte. Alle Arten von Sonderseiten spielen eine wesentlich geringere Rolle. Insgesamt verwenden die Lehrkräfte das Schulbuch eher als Materialsammlung. In einzelnen Bereichen ergeben sich deutliche Unterschiede zwischen dem Gymnasium und den nicht-gymnasialen Schulformen. Die Schulbuchnutzung im Gymnasium ist intensiver und bezieht stärker neuere Angebote wie Kompetenz- oder Methodenseiten mit ein. Die Qualität aktueller Schulbücher wird insgesamt recht positiv eingeschätzt, wobei die Werte für das Gymnasium signifikant günstiger ausfallen.
Christoph Kühberger/Herbert Neureiter/Wolfgang WagnerUmgang mit Darstellungen der Vergangenheit Historische De-Konstruktionskompetenz empirisch messen GWU 69, 2018, H. 7/8, S. 418 – 434 Der Beitrag beschäftigt sich mit der Möglichkeit der Messung von historischen Kompetenzen. Im Mittelpunkt steht der Umgang der Proband/innen mit Darstellungen der Vergangenheit (De-Konstruktionskompetenz). Diese Teilergebnisse wurden parallel zum so genannten HiTCH-Test entwickelt. Im Beitrag werden die geschichtstheoretischen Rahmungen skizziert, das Testinstrument anhand einiger Items und der statistischen Kennwerte vorgestellt sowie die Ergebnisse der Haupterhebung wiedergegeben. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen empirischer Bildungsforschung, Testpsychologie und Geschichtsdidaktik zeigt dabei vielversprechende Herangehensweisen für die zukünftige Forschung auf.
Matthias BodeKlausuren im Kursvergleich – ein Werkstattbericht GWU 69, 2018, H. 7/8, S. 435 – 456 Vier Kurssätze Oberstufenklausuren gleicher Aufgabenstellung wurden vergleichend durchgesehen. Die Schülerinnen und Schüler hatten Schwierigkeiten, den vorgelegten Text in seiner Perspektive zu erfassen und die Inhalte in ein Kontextwissen einzubinden. Darüber hinaus zeigt sich, dass ein Quellenbegriff nur vage vorliegt. Der Zeitdruck der Klausursituation lässt die Mängel umso schärfer hervortreten. Diese Befunde decken sich mit denen anderer Studien. Die Kurssätze zeigen charakteristische Gemeinsamkeiten, die aus dem zuvor abgelaufenen Unterricht zu erklären sind.
Michael MasetBilingualer Geschichtsunterricht GWU 69, 2018, H. 7/8, S. 457 – 471 Bilingualer Geschichtsunterricht gilt in der Bildungsbürokratie und der Fremdsprachendidaktik als Erfolgskonzept. Seine Ergebnisse sind allerdings aus fachdidaktischer Sicht kaum erforscht und teils fragwürdig. Der Blick auf die bilinguale Theoriediskussion, die empirische Erforschung und Unterrichtspraxis offenbart keinen Anlass zur Euphorie. Vielmehr ist große Skepsis angebracht, ob bilingualer Geschichtsunterricht mehr ist als nur erweiterter Fremdsprachenunterricht.